Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Telefon.
Es war Len, Len der liquide Lustmolch. Sie versuchte, ihm zu erklären, dass viel zu viel los sei und dass sie jetzt nicht über die Zwangsräumung reden könnte. Ihr Sohn hätte Probleme …
»Deshalb rufe ich ja an«, unterbrach Len sie. »Ich hab von der Sache mit Ben gehört. Ich wollte eigentlich nicht anrufen. Aber dann hab ich die Gerüchte gehört, und ich glaube, ich kann Ihnen helfen. Ich weiß nicht, ob Sie Wert darauf legen. Aber ich habe da eine Möglichkeit gefunden.«
»Für Ben?«
»Eine Möglichkeit, Ben zu helfen, ja. Mit den Prozesskosten. Bei dem, was Ihnen bevorsteht, wird da ja eine ganze Menge auf Sie zukommen.«
»Ich dachte, unsere Möglichkeiten wären ausgeschöpft«, wandte Patty ein.
»Nicht ganz.«
Len wollte nicht auf die Farm hinauskommen, aber er wollte Patty auch nicht in der Stadt treffen. Geheimnisvoll bestand er darauf, sie sollte zum Picknickplatz an der Route 5 fahren und dort parken. Sie feilschten und zankten, bis Len schließlich entrüstet in den Hörer schnaubte: »Wenn Sie Hilfe wollen, dann kommen Sie dahin, und zwar umgehend. Allein. Ich tue das, weil ich glaube, dass ich Ihnen vertrauen kann, Patty, und weil ich Sie mag. Ich möchte Ihnen wirklich helfen.« Eine Pause trat ein, so lange, dass Patty auf den Hörer starrte und irgendwann leise
Len?
in die Sprechmuschel flüsterte, weil sie dachte, er hätte aufgelegt, und sie auch schon auflegen wollte.
»Patty, ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen anders helfen kann. Ich glaube, na ja, Sie werden ja sehen. Ich bete für Sie.«
Sie wandte sich wieder dem Kamin zu, stocherte in den Flammen und sah, dass bisher nur die Hälfte der Kindersachen verbrannt war. Weil kein Holz mehr da war, eilte sie in die Garage, nahm die alte Axt ihres Vaters mit dem schweren Keil und der messerscharfen Klinge – damals hatte man noch richtige Werkzeuge hergestellt –, hackte eine Ladung Holz und trug es ins Haus.
Sie legte es aufs Feuer, als sie Michelle neben sich spürte. »Mom!«
»Was ist denn, Michelle?«
Sie blickte auf und sah, dass Michelle schon im Nachthemd war und auf das Feuer deutete. »Du wolltest grade die Axt mit dem Holz aufs Feuer schmeißen.« Michelle lächelte. »Du Schussel.« Tatsächlich lag die Axt wie ein Holzscheit auf Pattys Arm. Michelle nahm sie ihrer Mutter ab und trug sie, das gefährliche Werkzeug, wie sie es gelernt hatte, weit von sich haltend, zur Tür, wo sie sie vorsichtig auf den Boden legte.
Zögernd wanderte sie dann in ihr Zimmer zurück, mit behutsamen Schritten, als ginge sie durch Gras, und Patty folgte ihr. Die Mädchen saßen auf dem Fußboden und unterhielten sich flüsternd mit ihren Puppen. Es gab diesen Witz, den manche Leute unglaublich komisch fanden, nämlich, dass sie ihre Kinder am meisten liebten, wenn sie schliefen, haha. Patty spürte einen kurzen Gewissensbiss, weil sie ihre Kinder tatsächlich am liebsten hatte, wenn sie schliefen, keine Fragen stellten und von ihr weder Nahrung noch Unterhaltung forderten. Am zweitliebsten mochte sie sie allerdings, wenn sie so waren wie jetzt: müde, still, nicht allzu sehr an ihrer Mutter interessiert. Sie übertrug Michelle die Verantwortung und ließ ihre drei Töchter allein, zu erschöpft, um noch etwas anderes zu tun, als Lens Anweisungen nachzukommen.
Du solltest dir nicht zu viele Hoffnungen machen, sagte sie sich. Am besten gar keine.
Die Fahrt durch den hellen Schnee dauerte eine halbe Stunde, und im Licht der Scheinwerfer verwandelten sich die Schneeflocken in kleine Sterne. Es war »guter Schnee«, wie Pattys Mom, die den Winter immer geliebt hatte, gesagt hätte, und Patty dachte daran, wie die Mädchen morgen im Schnee spielen würden, und dann: Werden sie morgen wirklich im Schnee spielen? Was wird morgen passieren? Wo wird Ben sein?
Ja, wo war Ben?
Sie hielt an einem verlassenen Picknickplatz mit einer Hütte aus Beton und Metall, die in den siebziger Jahren gebaut worden war, mit Gemeinschaftstischen und einem verkanteten Dach, das aussah wie ein fehlgeschlagener Versuch in Origami. Auf den beiden Schaukeln lag eine etwa zehn Zentimeter hohe Schneeschicht, und die alten schwarzen Gummisitze bewegten sich nicht, was Patty seltsam erschien. Es ging doch ein Wind, warum hingen sie so still?
Lens Auto war nicht da. Genau genommen war überhaupt kein Auto da, und Patty hantierte nervös am Reißverschluss ihrer Jacke herum, fuhr mit dem Fingernagel über die Metallzähne, dass es klickte.
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