Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
ihre Brüste legte. Unschuldige, aber dennoch beunruhigende Augenblicke, in denen sie mit einem sinnlichen, erregten Gefühl erwachte, aus dem Bett sprang und sofort den Bademantel und das Nachthemd eng um sich schlang wie eine schreckhafte Jungfrau.
Nein, nein, nein, so darfst du deine Mom nicht anfassen
. Aber sie hatte – bis heute – nie den Verdacht gehabt, dass Ben seinen Schwestern etwas angetan hatte. Deshalb ließ sie die Frage in der Luft hängen, während Michelle immer aufgeregter wurde, ihre große Brille auf ihrer spitzen Nase hinauf- und hinunterschob und immer noch weinte.
»Michelle, es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe. Ben ist in Schwierigkeiten. Also – hat er irgendwas mit dir gemacht, über das ich Bescheid wissen sollte?« Ihre Nerven lagen blank, in manchen Momenten spürte sie nackte Panik, gefolgt von völliger Taubheit. Jetzt fühlte sie, wie die Angst in ihr aufstieg, eine Schubkraft wie ein Flugzeug beim Start.
»Ob er
was
mit mir gemacht hat?«
»Hat er dich irgendwie seltsam angefasst? Nicht so wie ein Bruder?« Freier Fall, die Triebwerke setzten aus.
»Er fasst mich doch nur an, wenn er mich schubst oder mich an den Haaren zieht oder rumzerrt«, leierte Michelle ihre übliche Litanei herunter.
Erleichterung. Große Erleichterung.
»Und was sagen die Leute in der Schule denn nun über ihn?«
»Dass er ein Freak ist. Total peinlich. Keiner mag ihn. Ich meine, schau dir doch bloß mal sein Zimmer an, Mom. Er hat lauter komisches Zeug da drin.«
Gerade wollte sie Michelle belehren, dass sie nicht ohne Bens Erlaubnis in sein Zimmer gehen sollte, hielt dann aber inne, weil sie an das dachte, was Detective Collins gesagt hatte, Tierkadaver in Tupperdosen. Sie stellte sich das Zeug vor. Teils getrocknet, in kleinen, holzigen Bällchen, teils frisch und aufdringlich, so dass einem ein durchdringender Geruch entgegenschlug, wenn man den Deckel öffnete.
Sie stand auf. »Was ist denn in seinem Zimmer?«
Als sie den Korridor hinunterging, stolperte sie natürlich wie immer über Bens verflixte Telefonschnur. Sie marschierte an seiner Tür mit dem Vorhängeschloss vorbei, nach links um die Ecke, weiter zum Mädchenzimmer und schließlich in ihr eigenes Zimmer. Überall auf dem Korridor lagen Socken und Schuhe und Jeans, das Treibgut des Tages.
In ihrem Zimmer öffnete sie die Tür ihres Nachtschränkchens und fand einen Umschlag, auf dem in Dianes länglicher Schrift, die der ihrer Mutter zum Verwechseln ähnelte, stand: Für Notfälle. Darin lagen fünfhundertzwanzig Dollar. Patty hatte keine Ahnung, wann Diane das Geld in ihr Zimmer geschmuggelt hatte, und sie war froh, dass sie nichts davon gewusst hatte, denn Runner hätte sofort gespürt, wenn sie es vor ihm verheimlicht hätte. Sie hielt die Geldscheine an die Nase und schnupperte daran. Dann stopfte sie Geld samt Umschlag wieder zurück in das Schränkchen und zog einen Bolzenschneider heraus, den sie vor ein paar Wochen gekauft hatte, nur um einen zur Hand zu haben, sollte sie jemals in Bens Höhle eindringen müssen. Sie hatte sich geschämt. Aber jetzt ging sie den Korridor hinunter, am Mädchenzimmer vorbei, das aussah wie ein Obdachlosenheim, ein Bett an jeder Wand, nur die Tür war frei. Sie konnte sich vorstellen, wie die Cops die Nase rümpften – drei Kinder in
einem
Zimmer? Auf einmal stieg ihr der Gestank von Urin in die Nase, und ihr wurde klar, dass eins der Mädchen letzte Nacht ins Bett gemacht haben musste. Oder die Nacht davor?
Kurz überlegte sie, ob sie die Laken sofort wechseln sollte, zwang sich aber, direkt zurück zu Bens Zimmer zu gehen, stand in Augenhöhe einem alten Sticker mit einer Fender-Gitarre gegenüber, den er teilweise abgekratzt hatte. Einen Moment war ihr so übel, dass sie kurz davor war, ihre Entscheidung wieder zurückzunehmen. Was, wenn sie belastende Fotos fand, irgendwelche widerlichen Polaroids?
Schnapp. Das Schloss fiel auf den Teppich. An der Wohnzimmertür erschienen die Köpfe der drei Mädchen, die wie erschrockene Rehlein zu ihr herüberspähten, und sie schrie sie an, gefälligst fernzusehen. Dreimal musste sie es wiederholen –
gehtfernsehengehtfernsehengehtfernsehen
–, ehe Michelle sich endlich zurückzog.
Bens Bett war nicht gemacht, die Laken zerwühlt unter einem Berg von Jacken, Jeans und Pullover, aber der Rest des Zimmers war keineswegs eine Müllhalde. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Hefte und Kassetten, daneben stand der alte Globus, der
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