Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
anfing zu weinen, hörte er auf zu packen, legte sich neben sie, strich ihr über die Haare, rubbelte ihren Bauch und versuchte, sie zu beschwichtigen. Er murmelte tröstliche Worte, was für ein tolles Leben sie zusammen haben würden, und noch mehr Lügen ähnlicher Art. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Dabei war sie doch diejenige gewesen, die ihn zur Eile angetrieben hatte. Klassisch.
Er stand wieder auf, sah auf die Uhr, denn wenn sie heute Nacht wirklich die Stadt verlassen würden, wollte er los. Die Tür hatte sich einen Spaltbreit geöffnet, aber er machte sich nicht die Mühe, sie zu schließen, im Gegenteil: Er wollte, dass sie offen blieb, denn wenn Gefahr drohte, konnte er sich besser beeilen. Er warf Jeans und Pullover in eine Sporttasche, das Heft mit den Mädchennamen, die er für das Baby ausgesucht hatte – für ihn stand Krissi Day immer noch an erster Stelle, das war ein guter Name, Krissi Day. Krissi Patricia Day oder vielleicht auch Krissi Diane Day, nach seiner Tante Diane. Das gefiel ihm auch, denn dann konnten ihre Freunde sie D-Day nennen, das wäre doch cool. Aber er würde sich mit Diondra auseinandersetzen müssen, die seine Vorschläge allesamt zu simpel fand. Sie bevorzugte Namen wie Ambrosia und Calliope und Nightingale.
Die Sporttasche über der Schulter, griff er in seine Schreibtischschublade, ganz nach hinten, wo er die Geldscheine versteckt hatte. Immer mal wieder hatte er einen Fünfer und einen Zehner abgezweigt und sich eingeredet, dass es inzwischen bestimmt dreihundert oder vierhundert Dollar wären. Aber jetzt sah er, dass es noch nicht mal hundert waren. Er stopfte das Geld in die Tasche und ging auf alle viere, um noch schnell die Tüte mit den Babysachen unter dem Bett hervorzuholen. Doch an der Stelle, wo er sie versteckt hatte, war nichts mehr. Die Klamotten für seine Tochter waren weg.
»Wo ist eigentlich mein Geschenk?«, fragte Diondra mit kehliger Stimme, weil sie flach auf dem Rücken lag, den Bauch in die Höhe gereckt, angriffslustig wie ein Mittelfinger.
Ben hob den Kopf, sah Diondra an, den verschmierten Lippenstift und die schwarzumrandeten Augen, und dachte, dass sie aussah wie ein Monster. »Ich kann es nicht finden.«
»Was meinst du damit, du kannst es nicht finden?«
»Es ist nicht mehr da. Irgendjemand muss hier drin gewesen sein.«
Im grellen Licht der nackten Glühbirne starrten sie einander an und wussten nicht, was sie tun sollten.
»Glaubst du, es war eine von deinen Schwestern?«
»Vielleicht. Michelle stöbert hier ständig rum. Außerdem hab ich auch nicht so viel Geld, wie ich dachte.«
Diondra richtete sich auf und schlang die Arme um ihren Bauch. Die Geste war nie liebevoll oder beschützend. Sie packte den Bauch, als wäre er eine Last und Ben zu dumm und pflichtvergessen, um sie ihr abzunehmen. Jetzt streckte sie ihn ihm entgegen und sagte: »Du bist der Vater dieses verdammten Babys, also lass dir gefälligst was einfallen, du bist derjenige, der mich geschwängert hat, also solltest du das lieber in Ordnung bringen. Ich bin jetzt fast im siebten Monat, das Baby kann jeden Tag kommen, und du …«
Das Flackern einer Bewegung an der Tür, das Rascheln eines Nachthemds, dann tauchte ein Fuß auf, offensichtlich bemüht, das Gleichgewicht zurückzugewinnen. Ein unabsichtlicher Stoß, die Tür sprang sperrangelweit auf. Michelle hatte sich auf dem Korridor herumgetrieben und zu lauschen versucht, aber dann hatte sie sich wohl zu weit vorgebeugt, und nun stand sie da, mit ihrem runden Gesicht und ihrer großen Brille, in der zwei Lichtvierecke reflektierten. Sie hielt ihr neues Tagebuch umklammert, und aus ihrem Mund sickerte ein dünnes Tintenrinnsal.
Michelle blickte von Ben zu Diondra, fixierte schließlich betont Diondras Bauch und sagte: »Ben hat ein Mädchen schwanger gemacht. Ich wusste es!«
Ben konnte ihre Augen nicht sehen, nur das Licht auf den Brillengläsern und das Lächeln darunter.
»Hast du es Mom schon gesagt?«, fragte Michelle aufgeregt, und dann bekam ihre Stimme einen aufreizenden Unterton. »Soll ich es Mom sagen?«
Am liebsten hätte Ben sie gepackt, aufs Bett geworfen und ihr die Drohung mit gleicher Münze heimgezahlt, aber Diondra war schneller. Michelle versuchte, zur Tür zu kommen, aber Diondra erwischte sie an den Haaren, ihren langen braunen Haaren, und riss sie zu Boden. Michelle landete hart auf dem Steißbein, Diondra zischte
kein Wort, du
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