Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Kinn landen, wie man einen jungen Hund bestraft.
»Fick dich, Arschloch.«
Jetzt fing auch Lyle an, am Rad zu drehen, stammelte irgendwelche Entschuldigungen und wollte mich wegzerren. Wütend versetzte ich Bobs Tisch mit dem Stiefel noch schnell einen ordentlichen Tritt, so dass er ordentlich ins Wackeln geriet und die Suppe des Kerls auf den Boden schwappte, dann ließ ich mich mit zusammengebissenen Zähnen weiterführen. Ich bereute bereits, dass ich nicht einfach über den Tisch gesprungen war. Es gibt doch kaum etwas Peinlicheres als eine Frau, die zu klein ist, um einen gescheiten Schlag landen zu können. Genauso gut hätte man mich strampelnd wie ein Baby wegtragen können. Als ich mich umschaute, sah ich den Kerl hinter seinem Tisch stehen, mit hängenden Armen und leicht gerötetem Kinn, wie er sich überlegte, ob er zerknirscht oder sauer sein sollte.
»Okay, wäre zwar nicht der erste Faustkampf im Kill Club gewesen, aber womöglich der merkwürdigste«, stellte Lyle fest.
»Ich mag es nicht, wenn man mich bedroht.«
»Er meint es wirklich nicht so … ich weiß, ich weiß«, brummte Lyle. »Wie gesagt, die ganzen Rollenspieler werden sich irgendwann abspalten und die ernsthaften Aufklärer in Frieden lassen. Und die Leute in unserer Gruppe – der Day-Gruppe – werden dir bestimmt gefallen.«
»Heißt sie Day-Gruppe oder Kinnakee-Kansas-Farmhaus-Massaker-Gruppe?«, brummte ich.
»Oh. Ja, so nennen wir uns.« Er versuchte, sich durch einen weiteren Engpass im ohnehin vollen Gang zu zwängen und zerquetschte mich halb von der Seite. Vorn hing mein Gesicht praktisch am Rücken eines Mannes, und ich konzentrierte mich angestrengt auf die perfekte Mittelfalte seines blauen, gestärkten Oxfordhemds. Von hinten schob mich erbarmungslos ein großer Penner-Bierbauch.
»Anscheinend gibt es hier ja einen richtigen Satans-Trend«, sagte ich. »Satans Farmhaus-Massaker. Kansas Satansmorde.«
»Na ja, eigentlich glauben wir ja nicht an so was, deshalb versuchen wir, ohne Teufels-Anspielungen auszukommen. Entschuldigung!«, sagte er und drängelte weiter.
»Dann ist es also eine Art Markenpolitik«, bemerkte ich spitz, die Augen immer noch auf das blaue Hemd gerichtet. Schließlich kamen wir um eine Ecke und an eine kühle freie Stelle.
»Möchtest du noch mehr Gruppen sehen?« Lyle deutete nach links zu den Männern an Stand 31 : billige Haarschnitte, ein paar Schnurrbärte, Buttondown-Hemden. Sie waren in eine intensive, leise Diskussion vertieft. »Die Typen sind ziemlich cool«, erklärte Lyle. »Sie entwerfen mehr oder weniger ihre eigenen Geschichten und glauben, dass sie einen Serienmörder entlarvt haben. Irgendein Kerl hat wohl in verschiedenen Bundesstaaten – Missouri, Kansas, Oklahoma – mehrere Morde begangen. Die Opfer waren Familienväter, manchmal auch ältere Leute, die sich zu viele Schulden aufgeladen, ihr Kreditkartenlimit überzogen, sich zweite Hypotheken angelacht hatten – allesamt letztlich hoffnungslose Fälle, kann man sagen.«
»Der Kerl bringt Leute um, weil sie nicht gut mit Geld umgehen können?«, fragte ich und verdrehte die Augen.
»Nee, nee. Die Typen hier glauben, er ist so eine Art Sterbehelfer für Leute mit Kreditproblemen und guter Lebensversicherung. Sie nennen ihren Mörder gern den Schuldentilger.«
Einer der Männer an Stand 31 , ein junger Typ mit vorspringendem Unterkiefer und Lippen, die seine Zähne nicht ganz bedeckten, hatte mitgehört und wandte sich eifrig an Lyle: »Wir denken, dass er letzten Monat in Iowa war: Ein Mann mit Billighäuschen und vier Kindern hatte zu einem echt günstigen Zeitpunkt einen Schneemobilunfall, wie aus dem Bilderbuch. Im letzten Jahr hatten wir ähnliche Fälle ungefähr einmal pro Monat. Die Wirtschaftskrise, Mann.«
Der Typ beabsichtigte eindeutig, noch weiter auszuholen und uns an seinen mit Graphiken, Kalendern und Zeitungsausschnitten überladenen Stand zu locken. Auf dem Tisch stand außerdem eine eklige Knabbermischung, an der die coolen Typen sich so ausgiebig bedienten, dass es Salzbrezelreste und Erdnusskrümel quer über den Tisch und hinunter auf ihre Sneakers hagelte. Ich schüttelte heftig den Kopf, übernahm zur Abwechslung selbst das Kommando und schob Lyle wortlos weiter. Wieder im Gang angekommen, atmete ich die hier ungesalzene Luft tief ein und schaute auf meine Uhr.
»Na gut«, sagte Lyle verständnisvoll. »Ist ja auch ganz schön viel auf einmal. Gehen wir rüber. Unsere Gruppe wird dir
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