Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Barb anfangen sollte. Niedergeschlagen saß ich da. Und träge. Ich hätte in die Bibliothek gehen können, um alles ordentlich zu recherchieren. Ich hätte mir vor drei Jahren einen persönlichen Internetzugang einrichten lassen können, damals, als ich es mir vorgenommen hatte. Doch nichts davon schien momentan eine Option zu sein – ich ermüdete schnell –, also rief ich Lyle an. Schon beim ersten Klingeln nahm er ab.
»Heyyyyy, Libby«, rief er. »Ich wollte dich auch schon anrufen und mich für letzte Woche entschuldigen. Du hattest bestimmt das Gefühl, dass wir über dich herfallen, dabei lag das gar nicht in unserer Absicht.« Nette Ansprache.
»Ja, das war echt Scheiße.«
»Ich glaube, ich hab einfach nicht dran gedacht, dass wir alle unsere eigenen Theorien haben und dass, äh, keine davon Ben für schuldig hält. Ich hab einfach nicht richtig überlegt. Es war mir nicht richtig klar. Deshalb hab ich auch nicht in Betracht gezogen, dass, na ja, dass die Geschichte für dich, na ja, dass das Ganze für dich real ist. Ich meine, ich weiß, dass es so ist, wir wissen das alle, aber gleichzeitig auch wieder nicht. Wahrscheinlich schaffen wir das nie. Glaube ich. Ich glaube, wir werden es nie ganz kapieren. Du hast so viel darüber diskutiert und debattiert, dass es irgendwie … Aber hmmm, auf jeden Fall tut es mir leid.«
Ich wollte Lyle Wirth nicht mögen, da ich schon entschieden hatte, dass er ein Arschloch war. Aber eine offene Entschuldigung weiß ich trotzdem zu schätzen, ungefähr so, wie ein unmusikalischer Mensch ein gutes Musikstück genießt. Ich kann es nicht wirklich, aber ich kann anderen dafür Beifall zollen.
»Na ja«, sagte ich.
»Es gibt Leute, die ganz sicher noch gern, du weißt schon, Andenken haben möchten, vorausgesetzt, du willst welche verkaufen. Falls du aus diesem Grund anrufst.«
»Nein, nein, ich hab nur überlegt. Ziemlich viel über den Fall nachgedacht.« Eigentlich hätte ich auch laut
Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen
sagen können.
Wir trafen uns nicht weit von meinem Haus, in einer Bar, die Sarah’s hieß, was ich für eine Bar seltsam fand. Aber es war ganz entspannt dort, und man hatte viel Platz. Ich kann es nicht leiden, wenn die Leute mir auf der Pelle hocken. Lyle saß schon am Tisch, stand aber auf, als ich hereinkam, und beugte sich zu mir herunter, um mich zu umarmen, was mit zahlreichen Drehungen und Wendungen seines langen Körpers verbunden war. Der Rand seiner Brille piekte mich in die Wange. Er trug schon wieder eine Jacke im Achtziger-Jahre-Stil – heute aus Denim, voller Slogan-Buttons. Kein Alkohol am Steuer; seid nett zueinander; wer nicht wählt, lebt verkehrt. Als er sich wieder setzte, klirrte es. Lyle war schätzungsweise zehn Jahre jünger als ich, und ich kam nicht dahinter, ob sein Look absichtlich ironisch-retro oder einfach nur bescheuert war.
Sofort fing er wieder an, sich zu entschuldigen, aber ich hatte genug davon. Ich war satt, danke.
»Hör mal, ich bin weder überzeugt davon, dass Ben unschuldig ist noch dass ich mich in meiner Aussage geirrt habe.«
Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, schloss ihn aber schnell wieder.
»Wenn ich Nachforschungen anstellen würde, könnte der Club dafür bezahlen?«, erkundigte ich mich. »Für meine Zeit sozusagen.«
»Wow, Libby, schon dass du diese Frage stellst, ist eine großartige Neuigkeit«, erwiderte Lyle. Ich hasste seinen Ton – als wäre ihm nicht klar, dass er es mit jemandem zu tun hatte, der ihm überlegen war. Er war ein Typ, der sich, wenn der Lehrer nach der Schulstunde wissen wollte, ob jemand noch Fragen hatte, tatsächlich meldete.
»Ich meine, wir haben alle unsere Theorien über den Fall, aber es würden sich so viele Türen für dich und alle anderen öffnen«, sagte Lyle, und seine Füße zappelten nervös unter dem Tisch. »Ich meine, die Leute wollen wirklich mit dir sprechen.«
»Gut.« Ich zeigte auf den Bierkrug, den Lyle neben sich stehen hatte, und er goss etwas davon in einen Plastikbecher, größtenteils Schaum. Dann wischte er mit einem Finger über seine Nase, steckte den fettigen Finger in das Bier, ebnete den Schaum ein und goss mehr Bier nach.
»Also. An welches Honorar hattest du denn in etwa gedacht?« Er gab mir den Becher, und ich stellte ihn vor mich auf den Tisch, weil ich nicht sicher war, ob ich das Zeug überhaupt trinken wollte.
»Ich denke, das müsste von Fall zu Fall entschieden werden«, antwortete ich und tat so,
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