Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
unmissverständlich klarmachte, dass mein genialer Geistesblitz mit Fehlern behaftet war und ich weder den Grips noch die Energie besaß, sie zu korrigieren.
Aber die Option, ins Bett zu kriechen und das Ganze zu vergessen, stand mir leider nicht mehr zur Verfügung. Ich musste Miete bezahlen, ich brauchte Geld für Lebensmittel. Sicher, ich konnte Sozialhilfe beantragen, aber das bedeutete, dass ich mich schlau machen musste, was man dafür tun musste, und ich würde wahrscheinlich eher verhungern, als mich mit dem ganzen Papierkram rumschlagen.
»Na gut, ich rede mit Ben«, murmelte ich schließlich. »Es ist wirklich am besten, bei ihm anzufangen. Aber dafür möchte ich dreihundert Dollar.«
Während ich das sagte, war ich sicher, dass ich so viel nicht kriegen würde, aber Lyle griff in ein altes, mit Klebeband geflicktes Portemonnaie und zählte die dreihundert anstandslos auf den Tisch. Dabei sah er nicht mal unglücklich aus.
»Woher hast du das ganze Geld, Lyle?«
Die Frage freute ihn offensichtlich, und er setzte sich etwas aufrechter hin. »Ich bin Schatzmeister beim Kill Club und kann frei über einen gewissen Betrag verfügen. Und das jetzt ist das Projekt, für das ich das Geld verwenden will.« Seine winzigen Ohren wurden rot wie wütende Embryos.
»Du unterschlägst das Geld«, stellte ich verblüfft fest und mochte ihn auf einmal ein bisschen mehr.
Ben Day
2 . Januar 1985
10 Uhr 18
M it dem Fahrrad brauchte man eine Stunde nach Kinnakee. Mindestens eine Stunde, und das in forciertem Tempo, aber nicht, wenn die Kälte einem die Lungen verbrannte und einem das Blut über die Wange strömte. Ben plante seine Arbeit in der Schule immer so, dass möglichst wenig Leute da waren – beispielsweise kam er nie samstags, weil da das Ringerteam in der Sporthalle trainierte. Es war ihm einfach zu blöd, mit dem Wischmopp rumzustehen, während all diese vierschrötigen, lauten Muskelprotze durch die Gegend stolzierten, Kautabak auf den Boden spuckten, den er gerade geputzt hatte, und ihn dann halb schuldbewusst, halb aggressiv anglotzten, als wollten sie ihn herausfordern, etwas zu sagen.
Heute war Mittwoch, aber es waren immer noch Weihnachtsferien, also hatte er gute Chancen, dass nicht viel los war – na ja, im Fitnessraum war immer Betrieb, das Geräusch wie von einem pumpenden Stahlherzen verstummte fast nie. Aber es war noch früh. Früh war am besten. Normalerweise putzte er von acht bis Mittag, wischte und räumte auf und wienerte, wie es sich für einen dämlichen Scheißer wie ihn gehörte, und machte sich wieder aus dem Staub, ehe jemand ihn entdeckte. Manchmal kam Ben sich vor wie ein Heinzelmännchen, das sich hereinschlich und alles blitzblank hinterließ, ohne dass jemand etwas davon mitkriegte. Den Schülern war Sauberkeit piepegal. Sie schmissen einen Milchkarton in Richtung Mülleimer, und wenn die Milch dabei quer über den Boden spritzte, drehten sie sich achselzuckend weg. In der Cafeteria kleckerten sie Hackfleischsauce auf den Stuhl und ließen das Zeug anpappen und hart werden. Darum konnte sich ein anderer kümmern. Natürlich machte Ben es genauso, denn das taten alle. Er ließ ein Stück Thunfischsandwich auf den Boden fallen und verdrehte die Augen, als wäre es nicht wert, sich um so eine Kleinigkeit zu kümmern – dabei war er ja der Depp, der die Sauerei ein paar Tage später wegmachen musste. Es war absurd, geradezu masochistisch.
Der Job war ätzend, und am schlimmsten wurde es, wenn andere Kids in der Nähe waren und versuchten, ihn zu ignorieren. Aber heute wollte er seine Schicht vormittags hinter sich bringen, solange Diondra in Salina zum Shoppen war. Obwohl sie mindestens zwanzig Paar Jeans besaß, die für Ben alle gleich aussahen, brauchte sie unbedingt eine neue, von irgendeiner bestimmten Marke. Sie bevorzugte eine sehr weite Passform und rollte die Hosenbeine gern ein Stück hoch, damit man ihre dicken Socken sah. Ben achtete darauf, ihr jedes Mal Komplimente zu machen, wenn sie eine neue Jeans anhatte, und dann fragte Diondra unweigerlich:
Aber was ist mit den Socken?
Einerseits war das ein Witz, andererseits auch wieder nicht. Diondra trug nur Socken von Ralph Lauren – sie kosteten ungefähr zwanzig Dollar das Paar, was Ben fast den Magen umdrehte. Sie hatte eine ganze Schublade voller Socken – mit Rautenmuster, gepunktet und gestreift, alle mit dem Polospieler-Logo. Ben hatte ausgerechnet, dass sich in der Schublade Socken im Wert von rund
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