Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
vierhundert Dollar befanden. Wie das Florida-Obst in der Kiste lagen sie dort und hatten etwa die Hälfte von dem gekostet, was seine Mutter in einem Monat verdiente. Na ja, reiche Leute brauchten Sachen, die sie kaufen konnten, und Socken waren wahrscheinlich nicht das Schlimmste. Diondra war ein seltsamer Mensch, sie gehörte nicht zur reichen Schickeria – dafür war sie viel zu grell und wild –, aber auch nicht richtig zur Metal-Szene, obwohl sie gern in ohrenbetäubender Lautstärke Iron Maiden hörte und Leder liebte und tonnenweise Gras rauchte. Diondra war in keiner Clique, sie war einfach ein Fall für sich. Alle kannten sie, aber keiner kannte sie wirklich gut. Sie hatte schon überall gewohnt, unter anderem auch längere Zeit in Texas, und wenn jemand anderes mit etwas nicht einverstanden war, was Diondra tat, sagte sie immer: »So macht man das in Texas.« Sie konnte tun und lassen, was sie wollte, es war immer okay, denn so machte man es in Texas.
Bevor er Diondra kennenlernte, hatte Ben sich einfach treiben lassen: Er war ein armer, stiller Junge vom Land, der in einer unauffälligen Ecke in der Schule mit anderen Bauernkindern rumhing. Sie waren nicht blöd genug, um verunglimpft zu werden, niemand machte sich die Mühe, auf ihnen herumzuhacken. Man beachtete sie einfach nicht. Für Ben war das schlimmer, als direkt gedemütigt zu werden. Na ja, vielleicht nicht. Es gab da diesen Jungen mit einer großen Bifokalbrille, den Ben seit dem Kindergarten kannte. In der ersten Woche auf der Highschool hatte er in die Hose gemacht – es gab unterschiedliche Versionen, wie es passiert war: Einer meinte, es wären Kotbrocken aus seiner Shorts gefallen, als er im Sport das Kletterseil hinaufhangelte, ein anderer behauptete, er hätte im Klassenzimmer einen Haufen abgesetzt, und es war sogar noch eine dritte, eine vierte und eine fünfte Fassung der Geschichte in Umlauf. Der Punkt aber war, dass dieser Junge für immer den Spitznamen Hosenscheißer weg hatte. In den Pausen drückte er sich mit gesenktem Kopf herum, die Augen hinter der Eulenbrille zu Boden gerichtet, und trotzdem kam es vor, dass ihm irgend so ein Witzbold auf den Rücken schlug und
Hey, Hosenscheißer
brüllte. Was blieb dem Jungen anderes übrig, als einfach weiterzugehen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen? Es gab also tatsächlich schlimmere Dinge, als nicht bemerkt zu werden, aber Ben war es trotzdem leid, er wollte nicht mehr nur der nette, stille Rotschopf sein, den alle Welt seit der ersten Klasse in ihm sah. Ein langweiliges Weichei.
Er konnte verdammt dankbar sein, dass Diondra ihn beanspruchte, zumindest privat. Sie hatte ihn mit ihrem Auto angefahren, so hatten sie sich kennengelernt. Es war im Sommer gewesen – bei der Orientierungshilfe der Schule für Anfänger und Neulinge. Drei stinklangweilige Stunden musste man hinter sich bringen, und als Ben danach über den Schulparkplatz schlenderte, hatte Diondra ihn gerammt, ihn regelrecht auf ihre Kühlerhaube geschaufelt. Sie war sofort aus dem Auto gesprungen und hatte ihn angebrüllt:
Scheiße nochmal, hast du sie nicht mehr alle, oder was?
Ihr Atem roch nach Alkopops, und die Flaschen kullerten klirrend auf dem Boden ihres CRX herum. Als Ben sich entschuldigte – er hatte sich tatsächlich bei ihr
entschuldigt!
– und Diondra begriff, dass er nicht wütend auf sie war, wurde sie plötzlich sehr nett und bot ihm an, ihn nach Hause zu fahren. Stattdessen landeten sie irgendwo am Stadtrand und tranken noch mehr Alkopops. Diondra behauptete, sie würde Alexis heißen, gestand ihm aber kurz darauf, dass sie gelogen hatte, und dass ihr Name in Wirklichkeit Diondra war. Ben antwortete, dass sie so einen coolen Namen doch nicht zu verleugnen brauchte, und das machte sie ganz glücklich. »Weißt du was, du hast ein echt nettes Gesicht«, sagte sie nach einer Weile, und wieder paar Sekunden später fügte sie hinzu: »Möchtest du knutschen, oder was?«, und schon waren sie dabei. Er war nicht zum ersten, aber erst zum zweiten Mal mit einem Mädchen zusammen. Nach etwa einer Stunde musste Diondra weg, aber sie sagte, er wäre ein toller Zuhörer, echt cool. Leider hatte sie keine Zeit mehr, ihn heimzufahren, also setzte sie ihn einfach dort ab, wo sie ihn angefahren hatte.
So begannen sie sich zu verabreden. Ben kannte Diondras Freunde nicht, er hing in der Schule auch nie mit ihr zusammen rum. Diondra erschien manchmal zum Unterricht und dann wieder nicht, flatterhaft
Weitere Kostenlose Bücher