Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
wie ein Kolibri. Aber es reichte ihnen, wenn sie sich an den Wochenenden sahen, in ihrem eigenen Bereich, in dem die Schule keine Rolle spielte. Mit Diondra zusammen zu sein veränderte Bens Leben, er war einfach mehr
da
.
Als Ben den Schulparkplatz in Kinnakee erreichte, standen dort ein paar Trucks und verbeulte Sportwagen. Also waren nicht nur die Ringer da, sondern auch die Basketballer. Ben wusste genau, wem welches Auto gehörte. Kurz überlegte er, sich gleich wieder aus dem Staub zu machen, aber es würde noch Stunden dauern, bis Diondra nach Hause kam, und er hatte nicht genug Geld, im Imbiss zu warten – der Eigentümer sah sofort rot, wenn sich Kids in seinem Laden herumdrückten, ohne etwas zu kaufen. Außerdem war es noch schlimmer als zu arbeiten, wenn man in den Weihnachtsferien allein in einem Diner herumsaß. Scheiße, dass seine Mom immer so viel Stress machen musste. Diondras Eltern kümmerten sich wenig um ihre Tochter – sie verbrachten ohnehin die Hälfte der Zeit in ihrem Haus in Texas. Sogar als Diondra letzten Monat aufgeflogen war, weil sie zwei volle Wochen die Schule geschwänzt hatte, war ihre Mom nicht sonderlich beeindruckt gewesen, sondern hatte nur gelacht.
Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf den Tischen, was, Süße? Versuch doch wenigstens, deine Hausaufgaben zu machen
.
Der Hintereingang der Schule war mit einer Kette verschlossen, also musste Ben durch die Umkleideräume. Schon beim Hereinkommen schlug ihm der Geruch von Fleisch und Fußspray entgegen. Das dumpfe Gepolter von oben und das Geschepper aus dem Fitnessraum beruhigten ihn insofern, als die Umkleideräume dann aller Wahrscheinlichkeit nach leer waren. Vom Korridor hörte er einen einzigen lauten Ruf:
Coooooper! Haalt!
, der wie Kriegsgeschrei vom Marmorboden widerhallte. Tennisschuhe patschten die Halle entlang, eine Metalltür knallte, danach wurde es relativ still. Nur Basketball- und Gewichtgeräusche, bum-bum, schepper, bum.
Für die Schulsportler war es irgendwie eine Sache des Vertrauens, ein Zeichen des Teamgeists, keine Schlösser an ihren Spinden anzubringen. Stattdessen fädelten sie nur dicke Schuhbänder durch die Haken, an die eigentlich das Schloss gehörte. Mindestens zwölf dieser weißen Bänder hingen an den Spinden, und Ben spielte wie immer mit der Idee, einen Blick in einen davon zu werfen. Was brauchten diese Kerle denn überhaupt? Wenn Schulspinde für Bücher waren, was wurde dann in den Sportspinden aufbewahrt? Deos, Körperlotion, Spezialunterwäsche? Trugen diese Jungs alle den gleichen Genitalschutz? Bum-bum, schepper, bum. Ein Schuhband hing schlaff herunter, ungeknotet – nur ein kleiner Ruck, und der Spind wäre offen. Ehe Ben es sich wieder ausreden konnte, zog er schon das Band heraus und hob leise und vorsichtig den Riegel an. In dem Spind war nichts Interessantes: Auf dem Boden lagen ein paar zusammengeknüllte Turnhosen, eine aufgerollte Sportzeitschrift, an einem Haken hing eine Sporttasche. Die Tasche sah aus, als müsste etwas drin sein, also beugte Ben sich vor und zog behutsam den Reißverschluss auf.
»Hey!«
Ben fuhr herum, die Tasche schwankte wild am Haken und fiel auf den Boden des Spinds. Vor ihm stand Mr Gruger, der Ringer-trainer, eine Zeitung in der Hand, das grobe, fleckige Gesicht ärgerlich verzerrt.
»Was zum Teufel hast du an dem Spind zu schaffen?«
»Ich, äh, er war offen.«
»Was?«
»Ich hab gesehen, dass er offen war«, sagte Ben und schob den Spind behutsam zu. Bitte, scheißescheißescheiße, bitte lass jetzt keinen vom Team reinkommen, dachte Ben. Er konnte sich die wütenden Blicke lebhaft vorstellen, alle würden ihn anstarren, und ein Hagel von Spitznamen würde auf ihn herabprasseln.
»Der Spind war offen? Und was hattest du da drin zu suchen?« Unbeweglich stand Gruger da und ließ die Frage in der Luft hängen, ohne den geringsten Hinweis, was er zu tun, wie viel Ärger er zu machen beabsichtigte. Ben starrte auf den Boden und wartete auf seine Strafpredigt.
»Ich hab dich gefragt, was du in dem Spind zu suchen hattest«, sagte Gruger und schlug sich mit der Zeitung auf seine fette Pranke.
»Ich weiß nicht.«
Der Mann rührte sich nicht, und Ben dachte nur dauernd,
brüll doch endlich los, damit ich es hinter mir habe
.
»Wolltest du etwas klauen?«
»Nein.«
»Was hattest du dann vor?«
»Ich wollte nur …« wieder stockte Ben. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen.«
»Du dachtest, du hättest etwas gesehen?
Weitere Kostenlose Bücher