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Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)

Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)

Titel: Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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keinen Fall wollte ich diesen Leuten dabei zuschauen, wie sie die Briefchen lasen, das war mir viel zu intim. Vielleicht konnte ich kurz weggehen, während sie sich die Sachen ansahen und sie begutachteten wie Kerzenständer auf dem Flohmarkt.
    Durch lauter Mittelklasse-Viertel lotste Lyle mich zu Magda. An jedem Haus flatterte eine Fahne zum Saint Patrick’s Day – überall grüne Kleeblätter und Leprachauns, erst ein paar Tage über dem Termin. Neben mir spürte ich Lyle herumhampeln, nervös wie immer, und dann wandte er sich mir plötzlich zu, und zwar so heftig, dass seine Knie um ein Haar den Schalthebel umgelegt hätten.
    »Also«, sagte er.
    »Also was?«
    »Dieses Treffen hat sich, wie das bei Magda öfter der Fall ist, in eine etwas andere Richtung entwickelt, als ursprünglich geplant.«
    »Was soll das heißen?«
    »Na ja, du weißt doch, dass sie zu dieser Gruppe gehört – der Free Day Society. Die Ben aus dem Gefängnis holen wollen. Und da hat sie auch ein paar von diesen … von diesen Frauen eingeladen.«
    »O nein«, sagte ich. Und fuhr an den Straßenrand.
    »Hör zu, hör zu, du hast doch gesagt, du willst dir Runner mal vorknöpfen. Na ja, das Projekt steht jetzt. Die bezahlen uns – dich – dafür, dass du ihn findest und ihm Fragen stellst, von Tochter zu Vater gewissermaßen.«
    »Tochter zu Vater?«
    »Genau. Weißt du, ich hab fast kein Geld mehr. Und diese Gruppe macht jetzt was für uns locker.«
    »Dann soll ich also rumsitzen und mich von denen runtermachen lassen? Wie letztes Mal?«
    »Nein, nein, die wollen dich bloß über Runners Vernehmung informieren. Dich auf den neuesten Stand bringen. Ich meine, du hältst Ben doch jetzt auch für unschuldig, oder nicht?«
    Vor meinem inneren Auge erschien plötzlich das Bild von Ben, wie er vor dem Fernseher sitzt und meine Mutter ihm mit einer Hand durch die Haare fährt, wie sie das manchmal gemacht hat, wenn sie, den Wäschekorb auf der Hüfte, an ihm vorbeiging, und er lächelt, dreht sich aber nicht zu ihr um. Er wartet, bis sie das Zimmer wieder verlassen hat, und dann streicht er sich die Haare wieder zurecht.
    »So weit bin ich noch nicht.«
    Meine Schlüssel baumelten vom Zündschloss im Takt zu einem Song von Billy Joel.
    »Na gut, fahren wir«, sagte ich.
    Noch ein paar Blocks weiter. Magdas Nachbarschaft war genauso billig wie meine, nur netter. Auch hier waren die Häuser schäbig gebaut, aber die Eigentümer hatten genug Stolz, um gelegentlich eine Schicht Farbe aufzutragen, eine Fahne rauszuhängen oder ein paar Blumen zu pflanzen. Irgendwie erinnerten mich die Häuser an hässliche Mädchen, die freitagabends in Glitzertops durch die Bars zogen, in großen Rudeln, keine von ihnen war hübsch, und keine würde es je sein. Magdas Haus war das hässlichste von allen, aber das mit den meisten verzweifelt aufeinandergepackten Verschönerungsversuchen. Der Vorgarten war mit Dekoartikeln gespickt: Gartenzwerge, die auf Drahtbeinen hüpften, Flamingos auf Sprungfedern, Enten mit Plastikflügeln, die sich im Wind drehten. Ein aus der Weihnachtszeit vergessenes Rentier aus Pappe hockte durchnässt auf der Wiese, die größtenteils aus Schlamm bestand, nur hier und dort von Babyflaum-Fleckchen Gras durchbrochen. Ich stellte den Motor ab, und wir starrten beide auf das Gärtchen mit seinen schwankenden Bewohnern.
    Wie ein Trainer, der bei einem schwierigen Spiel Ratschläge verteilte, hob Lyle den Zeigefinger und sagte zu mir: »Also, dann mach dir mal keine Sorgen. Ich denke, das Einzige, worauf du wirklich achten solltest, ist der Ton, in dem du über Ben redest. Die Leute aus dieser Gruppe geraten ziemlich schnell in Aufregung, was ihn anbetrifft.«
    »Was heißt hier Aufregung?«
    »Gehst du in die Kirche?«
    »Als Kind war ich manchmal da.«
    »Dann musst du es dir ungefähr so vorstellen, als würde jemand in deine Kirche kommen und erst mal klarstellen, dass er Gott hasst.«
     
    Tatsächlich herrschte eine Atmosphäre wie in einer Kirche. Oder vielleicht bei einer Totenwache. Jede Menge Kaffee, Dutzende Menschen, die in dunkler Wollkleidung herumsaßen und murmelten, traurig lächelnde Gesichter. Die Luft war blau von Zigarettenqualm, und ich musste daran denken, wie selten ich das nur noch zu Gesicht bekam, seit ich nicht mehr in Dianes nebligem Trailer wohnte, in dem ich groß geworden war. Ich atmete tief ein.
    Nachdem wir mehrmals an die offene Tür geklopft hatten, aber niemand reagierte, gingen wir einfach hinein.

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