Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
mir. Ich sitze sehr ungern in der Mitte, wo jederzeit ein Arm meinen berühren oder ein Knie mein Hosenbein streifen kann. So balancierte ich erst auf der einen, dann auf der anderen Pobacke und versuchte, nicht ins Polster einzusinken, aber ich bin so klein, dass ich am Ende aussah wie ein Comic-Kind in einem überdimensionalen Polstersessel.
»Hallo, Libby, ich heiße Katryn. Mein herzliches Beileid«, sagte eine der reichen Ladys neben mir und musterte von oben herab mein Gesicht, während ihr Parfüm meine Nasenflügel weitete.
»Hallo, Katherine.« Ich fragte mich, wann wohl der Zeitraum abgelaufen war, in dem man seine Trauer über den Tod eines Fremden zum Ausdruck bringen konnte. Vermutlich nie.
»Mein Name ist Katryn«, verbesserte sie mich zuckersüß, und ihre Goldblumenbrosche wackelte auf ihrer Feststecknadel. Daran kann man reiche Frauen übrigens auch noch erkennen: Sie belehren einen sofort, wie man ihre Namen ausspricht. A-li-ssia, nicht Alischa, De-bo-rah, nicht Debra. Ich antwortete nicht. Lyle unterhielt sich konzentriert mit einer älteren Frau auf der anderen Seite des Raums und wandte ihr dabei wie üblich das Profil zu. Unwillkürlich stellte ich mir vor, wie ihr heißer Atem sich in sein Schneckenöhrchen bohrte. Alle redeten und schauten mich an, flüsterten und schauten mich erneut an.
»Na, sollen wir nicht loslegen?«, rief ich und klatschte in die Hände. Unhöflich, aber ich hatte keine Lust, mich auf die Folter spannen zu lassen.
»Nun, Libby … Ned, bringst du den Kaffee vielleicht endlich mal rein?«, fuhr Magda auf. »Wir sind hier, um über Ihren Vater zu sprechen, Libby, über ihn als den Hauptverdächtigen in dieser Mordserie, für die Ihr Bruder fälschlicherweise verurteilt worden ist.«
»Richtig. Meine ganze Familie wurde ermordet.«
Magda holte ungeduldig Luft, verärgert, dass ich mein Recht auf meine Familie beanspruchte.
»Aber bevor wir daran arbeiten«, fuhr Magda fort, »möchten wir Ihnen gern ein paar Geschichten über Ihren Bruder erzählen, den wir alle lieben.«
Eine schlanke Frau in den Fünfzigern mit gepflegt gebändigten Haaren stand auf. »Ich heiße Gladys, und ich habe Ben vor drei Jahren im Zuge meiner gemeinnützigen Arbeit kennengelernt«, begann sie. »Er hat mein Leben verändert. Ich schreibe vielen Sträflingen« – an dieser Stelle konnte ich nicht verhindern, dass mir ein spöttisches Grunzen entfuhr, und die Frau bemerkte es auch –, »ich schreibe Sträflingen, weil das für mich die höchste Form christlicher Nächstenliebe ist – die für gewöhnlich nicht Liebenswerten zu lieben. Bestimmt haben alle hier Anwesenden
Dead Man Walking
gesehen. Aber als ich begann, an Ben zu schreiben, strahlte seine Ehrlichkeit aus jedem seiner Briefe. Er ist wirklich ein toller Mensch, und ich finde es absolut bewundernswert, dass er mich zum Lachen bringen kann – er bringt
mich
zum Lachen, wo doch eigentlich ich
ihm
helfen sollte –, wenn er über die grässlichen Bedingungen erzählt, unter denen er jeden Tag im Gefängnis leiden muss.«
An diesem Punkt hatte jeder etwas beizusteuern:
Er ist so lustig … das stimmt genau … er ist wirklich erstaunlich
. Gleichzeitig erschien Ned mit der Kaffeekanne und begann, die zwölf Plastikkaffeebecher aufzufüllen, die ihm hingestreckt wurden. Mit Handsignalen gaben die Ladys ihm, ohne ihn anzuschauen, zu verstehen, wann sie genug hatten.
Nun erhob sich zitternd eine jüngere Frau, ungefähr in Lyles Alter. »Ich heiße Alison. Ich habe Ben über meine Mom kennengelernt, die heute leider nicht hier sein kann …«
»Chemo, Eierstockkrebs«, flüsterte Katryn mir zu.
»… aber wir sind beide der gleichen Ansicht, nämlich, dass sie ihre Aufgabe auf dieser Welt erst erledigt hat, wenn Ben ein freier Mann ist.« Vereinzelter Beifall. »Und es geht uns einfach darum, einfach darum, dass …« – hier verwandelte sich das Zittern in Tränen –, »dass er ein so guter Mensch ist. Und das ist alles so falsch. Ich kann gar nicht glauben, dass wir in einer Welt leben, in der so ein guter Mensch wie Ben … in einem Käfig sitzt, und das ohne einen einzigen guten Grund!«
Ich biss die Zähne zusammen, denn ich fühlte, wie die Sache den Bach runterging.
»Ich finde einfach, Sie müssen das in Ordnung bringen«, fauchte die kruzifixierte Schneefrau, die es am wenigsten schaffte, freundlich auszusehen. Sie machte sich auch nicht die Mühe aufzustehen, sondern beugte sich einfach zwischen ein
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