Dark Room
festgeklebt war. »Alles gut, Püppi«, sagte sie leise, »ich hör dich, und bisher sind wir niemandem aufgefallen.« Der Vorhang schloss sich hinter ihr und Fiona. Sie standen im Stockdunkeln. Gemma schaltete eine Taschenlampe an und leuchtete die Ecken aus: Sie waren allein. Von draußen drang Gejohle und Gesang zu ihnen.
»Wieso sollte ich herkommen?«, fragte Fiona flüsternd. »Erst muss ich untertauchen, ich sitze tagelang in einem öden Gasthauszimmer am Arsch der Welt, und dann ruft mich Püppi an, dass ich hier kostümiert aufkreuzen soll.«
Die Grinsekatze langte sich unter den Rock, zog ein kleines Tablet aus einer Innentasche hervor und schaltete es ein. »Weil das zurzeit wahrscheinlich der sicherste Ort der Stadt ist. Im Auge des Sturms vermutet uns niemand. Wo versteckt man am besten ein Buch? In einer Bibliothek.«
»Deshalb Ihr belesener Aufzug.«
»Sieh dir das an! Dann weißt du, mit wem wir es zu tun haben.«
Sie hielt Fiona das Display hin. Es waren abfotografierte Zeitungsberichte, Fotos von Verbrechen und Aktennotizen.
»Hier«, Gemma wischte die Seiten weiter und sah dabei immer wieder zum Vorhang, ob womöglich jemand hereinkam.
»1983: Frauenleiche im Motzener See, erdrosselt. Gleiches Jahr: zwei Kinder, Zwillinge, ein Junge, ein Mädchen, vergewaltigt und erschlagen. 1985: junger Mann, lebendig vergraben im Spandauer Forst. 1986: Studentin erdrosselt und der Körper zerschnitten in ihrer Wohnung in Kreuzberg. 1988: Stricher vergewaltigt und auf die Gleise in Hohenschönhausen gelegt. 1989: ein kleiner Junge entführt und mit Säure gefoltert, der wurde auf einem Schrottplatz gefunden, als er schon verwest war. 1990: zwei Krankenschwestern verstümmelt und erhängt. 1991: alte Frau zu Tode gehetzt und überfahren. 1992: ein junger Soldat, vergewaltigt und mit einer Plastiktüte erstickt …«
Fiona schob die Hand mit dem Tablet angeekelt weg. »Warum zeigen Sie mir das?«
»Das sind alles ungeklärte Fälle. Vergewaltigung, Folter, Mord, verteilt auf die ganze Stadt. Und das sind nur die Akten, die meine Informanten auf die Schnelle gefunden haben. Und dieses hier betrifft dich.«
Sie wischte einige Seiten vor, und Fiona erkannte sofort die Schlagzeile des Zeitungsberichtes: »Doppelmord in Steglitz«.
»Die Schweinepresse hat ihn den Bademeister genannt«, flüsterte Fiona, »weil er meine Eltern in der Wanne ausbluten ließ.«
»Deine Eltern gehören auch dazu.« Gemma legte Fiona den Arm um die Schulter und zog sie an sich, aber Fiona schob sie weg und stand steif neben ihr.
»Was hat das mit mir zu tun? Es gibt also eine Menge ungeklärter Verbrechen in Berlin, zum Beispiel das an meinen Eltern. Sicher, es sind viele Irre unterwegs, es ist eine große Stadt, aber sehen Sie nie den Tatort im Fernsehen? Die Opfer und die Tötungsarten sind alle komplett verschieden. Das ist nie und nimmer derselbe Täter.«
Gemma schwieg und stand eine Weile ganz in Gedanken versunken, fast als würde sie träumen. Dann straffte sie sich. »Es ist nicht derselbe Täter, aber dieselbe Gruppe. Sie machen es gemeinsam, und weil es verschiedene Täter sind und verschiedene Arten Opfer, ist es niemandem aufgefallen. Es ist eine Art Snuff-Zirkel. Sie schieben sich die Opfer zu und decken sich dann gegenseitig.«
Fiona starrte sie verständnislos an. Die Grinsekatze öffnete hektisch einen Reißverschluss an ihrem Stehkragen und fächelte sich Luft zu. Sie atmete flach, und ihre Stimme zitterte leicht. »Diese Leute kommunizieren über mein Netzwerk. Ich habe keine Ahnung, wie sie das früher angestellt haben, als es mich noch nicht gab. Vielleicht haben sie eBay benutzt oder vor den Zeiten des Internets hohle Bäume auf Friedhöfen, was weiß ich. Aber jetzt verabreden sie sich auf meiner Seite. Sobald ich die Namen hatte, hab ich die Threads durchsucht und bin auf merkwürdige Gespräche gestoßen.« Sie hielt die Taschenlampe über Fiona und sich, ihre Gesichter sahen weiß aus wie die von Gespenstern. »Sie versteigern ihre Opfer.«
Noch bevor Fiona sich aus ihrer Schockstarre erholt hatte, wurde der Vorhang beiseitegerissen, und zwei Frauen stürmten herein. Gemma schaltete sofort die Taschenlampe aus, und Fiona konnte hören, wie sie unter ihrem Rock herumnestelte und das Tablet versteckte. Hände streckten sich aus, die Frauen kicherten, als sie Gemma und Fiona ertasteten.
»Hallo, ihr Hübschen«, säuselte die eine Frau mit leicht schleppender Aussprache, »Lust auf ein bisschen
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