Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
ausgezogen hatte, und griff in die rechte Tasche. Ihre Finger stießen auf kühles Metall – Schlüssel. Gott sei Dank. Behutsam, damit das Metall nicht klimperte, nahm sie den Schlüsselring an sich.
So weit, so gut.
Sie schob ihre Beute in die vordere Tasche ihrer Jeans.
Und jetzt … wenn sie es jetzt noch schaffte, sich an ihrer Schwiegermutter vorbeizuschleichen, ohne sie zu wecken …
Falls Eugenia überhaupt schlief und nicht im Sessel oder auf ihrem Bett saß und in einer Zeitschrift blätterte oder strickte.
Doch Marla hörte kein Rascheln von Seiten, kein Klicken von Nadeln. Sie musste das Risiko eingehen, sonst würde sie in der Falle sitzen.
Sie schaltete das Licht aus und drehte den Türknauf. Das Schloss klickte leise.
Jetzt oder nie, dachte Marla und öffnete die Tür einen Spalt. In Eugenias Zimmer herrschte Halbdunkel. Die Jalousien waren geschlossen. Die alte Dame lag im Bett, die Decke bis ans Kinn hochgezogen, und schnarchte leise. Marla schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, der dumme Hund möge nicht in der Nähe sein, dann durchquerte sie eilig das Zimmer und öffnete rasch und geräuschlos die Tür.
Ihre Schwiegermutter regte sich im Schlaf. Marla schlüpfte in den Flur hinaus, schloss die Tür wieder und hastete die Treppe hinauf, wobei sie um ein Haar über Coco gestolpert wäre. Jaulend, mit eingezogenem Schwanz huschte die Hündin auf ihren kurzen Beinchen die Treppe hinunter und verschwand im Wohnzimmer. »Dich bin ich los«, flüsterte Marla. Es kam ihr vor, als würde der Schlüsselring ein Loch in ihre Jeans brennen. Am liebsten hätte sie auf der Stelle die Tür zum Büro aufgeschlossen und die Schlüssel dann zurückgelegt, aber gerade als sie den Treppenabsatz erreicht hatte, ertönte die Türglocke.
Verdammt. Marla sah auf die Uhr und wartete, bis Carmen öffnete. Eine Frauenstimme hallte die Treppe hinauf.
»Ich bin Cherise Favier. Ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Ich möchte Marla besuchen.«
Marla wurde mulmig zumute. Bis der Besuch gegangen war, würde Eugenia längst auf den Beinen sein und die Schlüssel vermissen. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, Alex’ Cousine so schnell wie möglich loszuwerden, bevor jemand ihre Schwiegermutter weckte, und wieder hinaufzueilen. Marla drehte sich rasch um und lief hinunter in die Eingangshalle, wo Cherise gerade ihr mit Leopardenpelz abgesetztes Cape ablegte und es Carmen reichte.
»Marla!«, rief Cherise, und das Entzücken in ihrem Gesicht wich einem Ausdruck der Verwirrung. »Du – du siehst fabelhaft aus!« Das war eine glatte Lüge. Marla hatte sich noch vor weniger als einer Stunde im Spiegel betrachtet. »Ich musste dich unbedingt sehen.« Die blonde Frau ergriff mit beiden Händen Marlas Hand und zwang sich zu einem Lächeln, das Risse in ihr perfektes Make-up zu sprengen drohte. »Wir … Donald und ich hatten solche Angst um dich.« Sie warf über die Schulter einen Blick zur Haustür. »Er kommt gleich«, erklärte sie ein wenig nervös. »Gerade als wir anhielten, kam ein Anruf auf seinem Handy – irgendein Notfall.«
In dem Moment erschien ein großer, kräftiger Mann in der Tür. Sein braunes Haar war dicht, lockig und von wenigen grauen Fäden durchzogen. Die breiten Schultern dehnten die schwarze Lederjacke, die er über einem schwarzen Hemd trug und die nicht recht zu dem weißen Priesterkragen passen wollte.
»Donald, du erinnerst dich doch an Marla?«, fragte Cherise.
»Aber natürlich.« Donald lächelte strahlend, wobei große weiße Zähne und ein paar Goldkronen sichtbar wurden. Sein Gesicht war sonnengebräunt, faltig und voller Wärme. Auf der Nase, die aussah, als sei sie mehr als einmal gebrochen gewesen, trug er eine Brille mit Halbgläsern. In einer Hand hielt er eine abgegriffene Bibel. Mit der freien Hand fasste er Marla an der Schulter und zog sie an sich. »Schön, dich zu sehen«, sagte er und küsste sie wie selbstverständlich auf die Stirn. »Dem Herrn sei Dank, dass es dir gutgeht. Lieber Himmel, das war ja furchtbar, dass du neulich ins Krankenhaus musstest.«
Cherise strahlte ihren gutaussehenden Mann an. »Amen.«
»Ich war nicht im Krankenhaus.«
»Oh, dann eben in der Klinik«, sagte er mit einer abschließenden Geste der Hand, die die Bibel hielt. Marla befreite sich aus seiner Umarmung. Es war ihr zu vertraulich, zu intim, zu gezwungen. »Du hast uns allen einen gehörigen Schrecken eingejagt, weißt du – tja, und das nicht nur einmal.«
»Die Wege
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