Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
Taschen jeder einzelnen Jacke, von Marineblau bis Orange. Sie fand Tickets, Taschentücher, ein paar Münzen – alles, was Eugenia gedankenlos darin gelassen hatte.
Aber keine Schlüssel.
»Verdammt«, knurrte Marla. Wahrscheinlich trug ihre Schwiegermutter den Schlüssel zu Alex’ Büro bei sich, und er befand sich jetzt gerade in Cahill House, wo immer das sein mochte. Trotzdem durchsuchte Marla auch die Handtaschen. Wütend öffnete sie eine nach der anderen, nur um festzustellen, dass alle leer waren. In dem engen Raum war es heiß und stickig, und sie war im Begriff, ihn zu verlassen, als sie hörte, wie die Tür zu Eugenias Suite geöffnet wurde. Ihr blieb vor Schreck schier das Herz stehen. Wie sollte sie ihre Anwesenheit erklären, wenn sie ertappt wurde? Sie knipste das Licht aus und wich langsam zurück, teilte die Kleiderreihe und stieg auf den Schuhschrank. Dann ordnete sie die Garderobe wieder und versteckte sich hinter einem Kleid in einer Schutzhülle. Sie zuckte heftig zusammen, als plötzlich der Staubsauger zu dröhnen begann. Langsam, übergründlich reinigte das Mädchen Eugenias Zimmer. Marla hielt den Atem an. Vielleicht ließ das Mädchen den Schrank aus, vielleicht hatte Marla Glück, vielleicht … Ach, verdammt.
Das Motorengeräusch setzte aus, dann wurde die Tür geöffnet, und ein Lichtbalken fiel in den engen Raum. Marla rührte sich nicht. Gleich darauf ging die Deckenbeleuchtung an, und der Staubsauger wurde wieder eingeschaltet. Marla presste sich gegen die Rückwand des Kleiderschranks. Sie erkannte jetzt, dass die Plastikhülle, hinter der sie Deckung gesucht hatte, vergilbt war. Das seidige, mit Perlen bestickte weiße Kleid darin war vermutlich Eugenias altes Hochzeitskleid.
Marla schloss die Augen und wartete, während sie jeden Stoß des Staubsaugers gegen den Schuhschrank, auf dem sie stand, bis in die Knochen spürte. Sie wagte nicht zu atmen. Wie lange dauerte es denn, den verdammten Schrank zu saugen? Plötzlich wurde das Gerät ausgeschaltet.
»Was?«, rief das Mädchen laut.
Durch den Spalt zwischen einem langen Morgenmantel und der Schutzhülle sah Marla, wie das Mädchen den Kopf zur Tür wandte. Es war Rosa, eine zierliche kleine Lateinamerikanerin, die nicht viel sagte, da sie kaum Englisch sprach. Rosa ließ den ausgeschalteten Staubsauger stehen und trat in Eugenias Schlafzimmer.
»Ah, Señora Cahill, si, si. «
Dann ertönte Eugenias Stimme: »Bitte, können Sie das später erledigen?«
O Gott, was nun? Wie sollte sie erklären, was sie in den privaten Räumen ihrer Schwiegermutter zu suchen hatte? Der Schweiß trat Marla auf die Stirn und rann ihr über den Rücken, ihr Herz hämmerte wild.
»Ich muss ein wenig ruhen«, erklärte Eugenia.
» Si, si, ich komme wieder, luego. Später.«
»Und Rosa, bitte, Carmen soll mich rufen, wenn die Gäste eintreffen. Der Reverend und MrsFavier werden in Kürze hier sein.«
Der Reverend und … Marla erinnerte sich. Alex’ Cousine Cherise und ihr Mann hatten ihren Besuch angekündigt, doch an dem Tag war Marla ans Bett gefesselt gewesen. Wegen der verdammten Medikamente.
Angestrengt lauschte sie dem Wortwechsel. Wann war mit Cherise und ihrem Mann zu rechnen? Irgendwie musste Marla unbemerkt aus dem Schrank entkommen, bevor die Gäste eintrafen.
Ihre Achselhöhlen waren schweißnass.
Rosa holte den Staubsauger und eilte davon. Marla rührte sich nicht, wagte nicht, von dem Schuhschränkchen zu steigen. Wenig später betrat ihre Schwiegermutter den begehbaren Schrank, zog ihre marineblaue Jacke aus und hängte sie gegenüber von Marlas Versteck auf die Kleiderstange. Anschließend streifte Eugenia ihre hochhackigen Schuhe ab und stellte sie unter der Jacke auf. Dann zog sie Rock und Bluse aus, so dass sie in Unterwäsche dastand. Erschöpft schaltete Eugenia das Licht aus und schloss die Tür hinter sich.
Marla atmete auf und hoffte wider besseres Wissen, dass niemand nach ihr suchte, dass sie eine Möglichkeit finden würde, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen, bevor jemand sie vermisste.
Tödlich langsam verstrichen die Minuten. Marla wartete eine geschätzte Viertelstunde, bevor sie behutsam von dem Schuhschränkchen auf den Teppich hinunterstieg und sich durch die Dunkelheit zu dem schmalen Lichtstreifen der Türritze vortastete.
Sie fand den Lichtschalter und betätigte ihn vorsichtig. Mit einem Schlag war es taghell im Schrank. Marla blinzelte, dann suchte sie die Jacke, die Eugenia eben
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