Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
zurück und musterte seinen Bruder. »Ich bin zum Unfallschauplatz rausgefahren«, gestand er.
Alex zeigte kaum eine Reaktion. »Und was hast du herausgefunden?«
»Nicht viel. Aber ich finde es unbegreiflich, dass beide Fahrzeuge in entgegengesetzter Richtung die Leitplanken durchbrochen haben. Der Schwerlaster, na ja, das ist vielleicht noch verständlich, allein schon aufgrund des Gewichts und der Geschwindigkeit. Er fuhr schließlich bergab. Aber der Mercedes … Wie konnte er so starkes Metall durchschlagen?«
»Gute Frage.«
»Ich habe den Wagen gesehen«, fuhr Nick fort. »Hab einen Polizisten gefunden, der mich bereitwillig auf das Gelände gelassen hat, wo er abgestellt ist.« Er spannte die Lippen bei dem Gedanken an das zerbeulte Metall, die blutverschmierten Sitze und zersplitterten Scheiben. »Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat.«
»Marla war schon immer zäh wie Leder. Das weißt du doch.«
Nicks Nackenmuskeln spannten sich an. »Das allein ist keine Erklärung.« Er sah seinen Bruder fest an. »Beim Anblick des Wagens war ich fast sicher, dass ein Schutzengel über sie gewacht hat.«
»Nur fast?«
»Ich habe ein Problem mit Religion.«
»Ich erinnere mich.«
»Aber einen solchen Unfall hätte normalerweise kein Mensch überlebt.«
Alex zog einen Mundwinkel hoch. »Tja, Marla war schon immer ein Glückspilz, oder?«
Nick antwortete nicht, wollte nicht daran denken. »Was glaubst du, warum ist Marla in Panik geraten und hat die Kontrolle über den Wagen verloren?«
»Wenn ich das wüsste. Sie war immer eine sichere Fahrerin. Hat nie auch nur einen Strafzettel bekommen. Ich nehme an, diese Frage kann nur sie allein beantworten … falls ihr Erinnerungsvermögen zurückkehrt.«
»Wenn, wolltest du sagen«, berichtigte Nick ihn.
»Ach ja?« Alex lächelte eine hübsche Kellnerin mit hinreißender Figur und großen braunen Augen an, die mit ihrem kurzen Röckchen, der weißen Bluse und der roten Fliege kaum alt genug wirkte, um alkoholische Getränke servieren zu dürfen.
Die Kellnerin nahm sein leeres Glas, tauschte es gegen ein volles ein und brachte Nick ein Bier, das er im Grunde gar nicht wollte. Doch er beklagte sich nicht. Er würde es schon hinunterbekommen.
»Ich bin nicht sicher, ob sie sich je erinnern wird«, sagte Alex. Er sah die Frage in Nicks Augen und seufzte. »Klar, ich spiele das Spiel mit und sage ihr, dass alles wieder gut wird. Phil Robertson, ihr Arzt, scheint ja tatsächlich überzeugt zu sein, dass sie ihr Gedächtnis früher oder später wiederfindet. Aber im Augenblick sieht es nicht danach aus.« Er trank einen großen Schluck und lehnte sich zurück. »Es ist schwer zu sagen.«
Nick musste ihm zustimmen, wenn auch widerwillig.
»Und vielleicht habe ich den ganzen Mist einfach nur satt.«
»Vielleicht.« Nick trank aus seiner langhalsigen Flasche, in Gedanken bei dem Unfall. Pam Delacroix war auf der Stelle tot gewesen, Biggs hatte das Bewusstsein bisher nicht wiedererlangt. Marla erinnerte sich an nichts, überlebte in ihrer eigenen persönlichen Zwischenwelt. »Du hast Pam nie kennengelernt?«
»Nein.« Alex griff in seine Jackentasche, zog ein Päckchen Zigaretten hervor und sagte: »Ich muss eine rauchen. Kommst du mit nach draußen?«
»Klar.« Sie tranken aus. Anschließend bestand Alex darauf, die Rechnung zu übernehmen. Er reichte der Kellnerin seine Kreditkarte. Nachdem er die Quittung abgezeichnet hatte, schlüpfte er in seinen Mantel, und er und Nick gingen hinaus. Sie standen in einer Gasse, wo mehrere Männer sich zusammengefunden hatten, um zu rauchen, zu lachen und die Chancen der 49er im Stichkampf zu diskutieren. Für Nick und seinen Bruder hatten sie kaum einen Blick übrig. Alex steckte sich eine Zigarette an und blies den Rauch aus dem Mundwinkel. Nick zog gegen die Novemberkälte San Franciscos den Reißverschluss seiner Jacke hoch.
»Von Pam weiß ich nur das wenige, was Marla mir erzählt hat. Die beiden haben sich vor ein paar Jahren im Club kennengelernt.« Alex zuckte die Achseln. »Aber es gab eben Zeiten in unserer Ehe, da hatten wir uns nicht viel zu sagen. Ein paar Mal haben wir uns getrennt. Oh, nicht offiziell, aber unsere Ehe …, nun ja, der Weg war manchmal steinig.« Nachdenklich drehte er sich um, sog den Rauch tief in die Lunge. Nick äußerte sich nicht, er hatte keine Lust, sich auf das gefährliche Thema der Ehe seines Bruders einzulassen. »Ich glaube, Marla und Pam haben zusammen Tennis gespielt …
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