Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
Unstimmigkeit mit den Entlassungspapieren«, erklärte Marla und dachte daran, wie ungeduldig sie selbst gewesen war. Sie hatte nicht eine Sekunde länger als nötig im Krankenhaus bleiben wollen.
»Wie auch immer, ich hätte sie wohl doch nicht zu den Thomasens gehen lassen sollen«, meinte Eugenia. »Aber du hast sie ja in den letzten Tagen regelmäßig gesehen, und offen gestanden hatte ich ihre Nörgeleien satt … Ich hatte ihr nicht erlaubt, reiten zu gehen, und du glaubst nicht, was ich deswegen zu hören bekam.« Sie schnalzte mit der Zunge, als sei die Dreizehnjährige ihr bereits über den Kopf gewachsen.
»Schon gut.«
»Ich sorge dafür, dass sie zu Hause ist, wenn du aufwachst.«
»Danke.«
»Schön, dass du wieder hier bist, Marla.« Als Eugenia ging und lächelnd die Tür hinter sich schloss, atmete Marla auf. Sie trank aus ihrem Saftglas und verzog das Gesicht wegen des bitteren Geschmacks. Das Schmerzmittel. Gut. In wenigen Minuten würde sie die Kopfschmerzen los sein. Vielleicht hatte ihre Schwiegermutter recht. Vielleicht sah nach einem ausgiebigen Schlaf in ihrem eigenen Bett alles schon viel besser aus.
Sie zog sich bis auf die Unterwäsche aus, kroch ins Bett und spürte, wie die kühlen Laken ihre Haut liebkosten. Die leichte Daunendecke fühlte sich himmlisch an, und ihre Augenlider waren tonnenschwer.
Die Erschöpfung übermannte sie. Marla war froh, die Fragen vergessen zu können, die sie quälten, seit sie aus dem Koma erwacht war. Die anderen hatten recht: Sie war nur verwirrt, weiter nichts. Wegen des Unfalls. Nur daran konnte es liegen.
Sonst würden alle sie belügen.
Der Arztkittel war zwei Nummern zu groß, doch das machte nichts. Mehr Tarnung benötigte er nicht. Eine der Schwestern auf der Station für Verbrennungen war heute nicht zum Dienst erschienen, weil jemand ihr Auto demoliert und ihr Handy gestohlen hatte. Die anderen beiden waren völlig überlastet, denn das Krankenhaus hatte noch keinen Ersatz für die ausgefallene Schwester finden können.
Bis ihnen das gelungen war, würde er seine Arbeit erledigt haben.
Das Licht war zu hell für seinen Geschmack, doch daran konnte er wenig ändern. Er setzte eine Brille mit Schildpattgestell auf. Mühelos schlüpfte er in die Rolle eines Assistenzarztes und machte sich selbstbewusst auf den Weg. Das Namensschildchen mit Porträtfoto an seinem Kittelaufschlag wies ihn als Carlos Santiago aus. Wahrscheinlich würde niemandem auffallen, dass das Bild nicht sein Gesicht zeigte, denn er bewegte sich mit der Autorität eines Menschen, der wusste, was er tat. Der dazugehörte.
Was für ein Witz!
Er hatte niemals irgendwo dazugehört. Immer hatte er außen vor gestanden. Aber jetzt, jetzt mischte er verdammt noch mal mit.
In der Nähe der Station für Verbrennungen wartete er in einer Nische ab, bis die überarbeitete diensthabende Schwester in ein Zimmer gerufen wurde. Als sie durch die Tür verschwand, schlich er auf leisen Sohlen in das Zimmer von Charles Biggs.
Der Mann im Bett sah aus wie ein Monster. Alles, was man an Haut sehen konnte, war rot und feucht. Große Teile seines Körpers waren von Verbänden bedeckt. Biggs rührte sich nicht. Er war an verschiedene Schläuche angeschlossen. Durch einen Tropf wurden Schmerzmittel und Gott weiß was noch alles in seine Adern geleitet.
Zu spät.
Biggs würde es nicht schaffen.
Er trat ans Bett dieses Unglücksraben. Das passiert, wenn jemand zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Pech für dich, Biggs.
Biggs sog rasselnd Luft in seine versengte Lunge.
Du kommst mich teuer zu stehen, du Scheißkerl, dachte er, dann zog er einen kleinen rechteckigen Gummilappen aus der Tasche und legte seine behandschuhte Hand über Biggs’ Mund und Nase. Der Mann versteifte sich, rang nach Luft, kämpfte in bewusstlosem Zustand gegen das Ersticken an.
Alle Muskeln angespannt, drückte er den kräftigen Mann nieder, aber es war schon vorbei, ehe es richtig begonnen hatte. Charles Biggs war dem Tod ohnehin sehr nahe gewesen.
Während sich der falsche Assistenzarzt geräuschlos vom Bett entfernte, begannen die verdammten Monitore wild zu piepsen. Er lächelte und lief auf leisen Sohlen zu einer Hintertreppe, öffnete die Tür und eilte die Betonstufen hinunter.
In seinen Augen hatte er dem elenden Kerl einen Gefallen getan. Einen großen sogar.
Als er im Erdgeschoss aus dem Treppenhaus kam, stieß er mit einer Krankenschwester zusammen, die ihm entgegenhastete.
»Entschuldigung«,
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