Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
nicht?«, fragte sie, und voller Verlegenheit fand Marla in die Gegenwart zurück. Ihr Gesichtsausdruck hatte offenbar ihre Gedanken gespiegelt, denn Carmens Lächeln erstarb.
»Ich … Entschuldigen Sie. Das hier ist wahrscheinlich zu viel für Sie. Ich hätte nicht …«
»Nein, nein, schon gut … Ich hatte nur ein wenig die Orientierung verloren, und bitte, nennen Sie mich nicht MrsCahill, nennen Sie mich Marla.«
»Wenn Sie es wünschen«, sagte Carmen. Marla klappte das Hochzeitsalbum zu und stellte es zurück ins Regal.
»Ich wünsche es, und denken Sie daran: Ich muss erfahren, was mit mir los ist. Alles.«
»Natürlich.«
Am anderen Ende der Bibliothek befand sich in einer geräumigen Nische eine Bar, und die Gerüche von Brandy und Zigarrenrauch hingen in der Luft. Sie durchquerten den Flur zu einer weiteren Tür, die halb offen stand. Mit einem Blick erkannte Marla, dass dieses Zimmer Eugenia gehören musste. Das Parfüm ihrer Schwiegermutter durchzog den gesamten Raum. Ein holzgeschnitztes Bett beherrschte eine Wand mit Durchgang zu ihrem privaten Bad. Fenstertüren mit transparenten Vorhängen führten auf einen Balkon. In der gegenüberliegenden Ecke standen ein antiker Sekretär und ein Zweiersofa neben einem kleinen, mit handgemalten Kacheln verzierten Kamin.
»In dem Zimmer dort warten sie auf Sie«, erklärte Carmen, fasste Marla am Ellenbogen und führte sie in einen langgestreckten Raum mit einem Fernseher, zwei Sofas und einem Lehnsessel. Eugenia hielt das Baby auf dem Schoß. James richtete den Blick seiner großen Augen auf alles und nichts. Beim Anblick seines flaumigen Köpfchens lächelte Marla.
»Lieber Himmel, was hast du mit deinem Haar gemacht?«, fragte Eugenia mit großen Augen und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Ich hab’s geschnitten.«
»Ich muss schon sagen … nun ja … Mach dir keine Gedanken darum.«
»Das tue ich nicht.«
»Ich rufe meine Friseurin an. Sie kommt bestimmt gern vorbei und« – sie wedelte mit den Fingern um ihren eigenen Kopf herum –, »tja, und macht so etwas wie eine Frisur daraus.« Nachdem sie sich ein wenig erholt hatte, beugte sie sich zu James hinab und flüsterte gut hörbar: »Sieh mal, wer jetzt endlich aufgewacht ist.«
»Wie spät ist es?« Marla durchquerte das Zimmer, setzte sich neben ihre Schwiegermutter in einen Sessel und streckte die Arme nach dem Kind aus.
»Schon nach vier Uhr, meine Liebe. Du hast praktisch einmal rund um die Uhr geschlafen. Wie fühlst du dich?«
»Etwas benommen«, gestand Marla, kitzelte ihren Sohn unterm Kinn und lachte ihn mit gekrauster Nase an. Der Duft von Babypuder und Öl wehte ihr entgegen. »Wie geht es Mamas großem Jungen denn, hm?«, fragte sie, und ihre Stimme hob sich automatisch um eine Oktave.
»Unleidlich ist er«, erklärte Fiona, die gerade ins Zimmer kam. »Und er muss gefüttert und gewickelt werden.«
»Das übernehme ich.«
»Aber …«, setzte Fiona zum Protest an.
»Glauben Sie mir, ich brauche die Übung.«
»Er war nicht unleidlich oder gereizt. Er hatte Bauchweh«, berichtigte Eugenia.
Carmen, die noch an der Tür wartete, verkündete: »MrsCahill sagt, sie möchte mit der Familie zu Abend essen.«
»Wirklich?« Eine graue Augenbraue fuhr bis über den Rand von Eugenias Brille in die Höhe. »Bist du sicher, dass du dir das zumuten kannst? Dr.Robertson will, dass du so viel Ruhe wie nur möglich bekommst.«
»Das geht schon in Ordnung … solange ich das Essen püriert bekomme.«
»Ich glaube, heute steht Steak Diane auf dem Speiseplan, aber für dich machen wir eine Ausnahme.« Eugenia lachte leise.
Marlas Magen knurrte, als sie an richtig deftige Mahlzeiten dachte. Sie grübelte vor sich hin, während sie dem Säugling auf einem Tisch die Windel wechselte und anschließend der widerstrebenden Fiona sein Fläschchen entwand. Sie hatte den bohrenden Verdacht, dass in der Familie etwas faul war.
Wie Eugenia dort auf dem Sofa saß, die Highheels ordentlich nebeneinander abgestellt, zu ihren Füßen einen Gobelinbeutel mit Stricknadeln und Garn, war sie der Inbegriff der zärtlichen Großmutter. Babyspielzeug lag verstreut auf einer Spieldecke, und Fiona wirkte völlig entspannt und kompetent, obwohl sie anscheinend nicht unbedingt der liebenswürdigste Mensch auf der Welt war. Alle behandelten Marla gut, und doch hegte sie gegen alle einen unbestimmten Verdacht.
Sie spürte, dass sie etwas vor ihr geheim hielten, etwas von großer
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