Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
als sei sie schon ein Dutzend Mal hier gewesen. Sie war eine zierliche Frau mit kurzem, blond gesträhntem Haar, dunklen Augen und schmalen Lippen und trug ein weißes, golden gepaspeltes Trainingsoutfit und weiße Tennisschuhe. Mehrere Goldkettchen lagen um ihren braunen Hals, ein Tennisarmband mit großen Diamanten schmückte ein schmales Handgelenk. Marla musterte Joannas feine Züge, suchte nach Hinweisen, hoffte auf Erinnerungen, doch ihr war, als hätte sie diese Frau nie zuvor in ihrem Leben gesehen. Wieder überkam sie Enttäuschung.
Joanna ließ sich auf ein üppig gepolstertes Sofa fallen und schob die Hände zwischen die Knie. »Nun, wie fühlst du dich?«
»Besser, mal so, mal so. Ich habe noch manchmal Kopfschmerzen, und diese da« – Marla öffnete die Lippen, um die Fixierdrähte zu zeigen – »sind eine Qual.« Sie nahm in einem Sessel Platz.
»Aber unumgänglich.« Sie unterbrachen die Unterhaltung, als Carmen eine Flasche Wein, zwei hochstielige Gläser und eine kleine Platte mit Obst, Käse und Crackern brachte.
»Haben Sie sonst noch Wünsche?«, fragte das Dienstmädchen und stellte das Tablett auf den Kaffeetisch.
»Nein danke, das wäre alles.« Während Carmen lautlos das Zimmer verließ, schenkte Marla zwei Gläser Wein ein und reichte eines Joanna.
»Du leidest also an Amnesie?«
»Und wie.«
»Du erinnerst dich nicht an mich?« Geschwungene Augenbrauen fuhren in die Höhe, und wie um die Stimmung aufzuhellen, wandte Joanna den Kopf von einer Seite zur anderen und zeigte ihr Profil. »Und jetzt?«
»Nein, aber das gilt nicht nur für dich. Ich erinnere mich an niemanden.«
»Schade, ich wollte mich schon für etwas Besonderes halten.«
Marla brachte kein Lächeln zustande. »Tu’s nicht. Ich kann mich nicht einmal … nicht einmal an meine eigenen Kinder erinnern. Ist das nicht krank?«
»Nun, ja … Amnesie ist eine Krankheit.«
»Ich weiß, und …« Marla würgte an dem Kloß in ihrem Hals und schüttelte den Kopf. »Ich sage mir immer wieder, dass es besser wird. Blitzartig erinnere ich mich manchmal an Dinge, die mich betreffen, an lang vergangene Ereignisse oder solche aus jüngerer Zeit. Aber ich wollte, ich könnte sagen: ›O ja , ich kenne dich‹, aber es ist nicht so. Verdammt. Es ist so unheimlich. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, jemals Tennis gespielt zu haben.«
»Gut. Dann kann ich behaupten, ich hätte dich auf dem Court immer in Grund und Boden gespielt.«
»Und, stimmt das nicht?«
»Es wäre eine faustdicke Lüge. Deine Rückhand hat mich das Fürchten gelehrt.« Sie nippte an ihrem Chardonnay und sah Marla über den Rand des Glases hinweg an. Ihre dunklen Augen funkelten. »Die solltest du dir wieder zulegen.«
»Wie mein Gesicht?«
»Tja, zumindest wie deine Haare.«
Marla lachte matt.
»Und was dein Gesicht angeht …« Joanna hob eine Hand und spreizte den Daumen ab wie ein Künstler, der die Symmetrie seines Werkes prüft. »Hmm. Ich fürchte, das wird eine Weile dauern«, scherzte sie. »Aber vergiss nicht, mein Mann ist plastischer Chirurg. Ted hat sich auf Gesichtsoperationen spezialisiert, in erster Linie kosmetische Operationen, aber er hat auch schon Rekonstruktionen vorgenommen. Lass mich überlegen … Ich habe für ihn gearbeitet, weißt du noch?« Sie legte eine kleine Pause ein, und während sie nachdachte, bildeten sich zwischen ihren Augenbrauen kleine Fältchen. »Ach, stimmt ja, du kannst dich nicht erinnern. Nun, gut. Es war keine besonders schöne Zeit.« Als sie Marlas verdutztes Gesicht sah, seufzte Joanna schwer. »Damals war Ted noch mit seiner ersten Frau verheiratet. Ich war die böse andere Frau, die ihn ihr ausgespannt hat.« Joanna zog die Brauen hoch und lächelte, als sei sie ein wenig stolz darauf, einer Rivalin eine so gute Partie entrissen zu haben.
»Oh.«
»Das war vor zwölf Jahren. Schnee von gestern.«
Sie legte einen Finger unter Marlas Kinn und neigte den Kopf zur Seite. »Du siehst so anders aus, und ich vermute – wohlgemerkt, es ist eine auf Sachkenntnis gestützte Vermutung –, du wirst toll aussehen, sobald die Schwellungen und Blutergüsse abgeklungen sind, aber anders als vorher.«
»Vielleicht besser?«
»Vielleicht, aber ich wüsste nicht, warum du dir das wünschen solltest. Du hattest ohnehin immer viel mehr Verehrer, als gut für dich war.«
»Wie bitte?« Das war ihr neu. Und doch hatte Marla das vage Gefühl, dass es stimmte.
»O ja, du warst immer … na ja, du
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