Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
an dem beinahe dreißig Jahre lang die kleine Marienstatue seines Vaters gestanden hatte.
Er wollte den Wagen nicht verkaufen. Vorerst nicht.
»Mon dieu!« Helene, Eugenias Privatfriseurin, wäre nach einem Blick auf Marla beinahe ohnmächtig zu Boden gesunken. »Was ist denn nur passiert?«
»Ich habe Ihnen doch von dem Unfall erzählt«, sagte die alte Dame.
»Nein. Ich meine … ihr Haar.«
»Ich habe es selbst geschnitten«, erklärte Marla einigermaßen belustigt über die entsetzte Miene der zierlichen Frau.
»Schön, schön, wir werden sehen … Oh, darüber werde ich wirklich gründlich nachdenken müssen.« Dann lächelte sie, als sei ihr plötzlich bewusst geworden, wie die Worte in den Ohren ihrer Kundin klingen mussten. »Aber es ist kein Problem. Ich kann Wunder wirken. Sie haben ein schönes Gesicht, das Sie nicht verstecken sollten. Lassen Sie mich mal sehen. … Sind Sie zufrieden mit Ihrer Haarfarbe?«
»Ich brauche nur einen Schnitt«, erwiderte Marla, »damit aus meinen Zotteln etwas wie eine Frisur wird.«
Helene bedachte sie mit einem listigen Wenn-Sie-wüssten-Blick. Sie stiegen in den Lift zur Suite, und die Friseurin machte sich an die Arbeit. Sie bestand darauf, das Haar zu waschen, Weichspüler einzumassieren und dann zu schneiden. Sie arbeitete mit entschlossener Miene, als gelte es, am Mount Rushmore ein fünftes Gesicht in den Fels zu hauen. Dabei murmelte sie ständig vor sich hin, schüttelte den Kopf und föhnte schließlich ihr Meisterstück, wie Marla es insgeheim nannte, trocken. Weiche Lagen von mahagonifarbenem Haar verdeckten die Narbe beinahe völlig und verjüngten sich stufenweise zum Nacken hin.
»Sie können sich glücklich schätzen«, versicherte Helene und neigte den Kopf zur Seite, um ihr Werk zu bewundern. »Eine natürliche Schönheit.«
Marla warf einen zweifelnden Blick in den Spiegel und sah ein immer noch verschwollenes und leicht verfärbtes Gesicht.
»O ja«, beharrte Helene. »Diese Blutergüsse sind bald völlig abgeklungen, und mit Ihren Wangenknochen und Augen – Sie werden hinreißend aussehen. Da bin ich mir ganz sicher.« Sie hob theatralisch eine Hand und verdrehte die ausdrucksstarken Augen. »Sie sollten mal das Material sehen, mit dem ich manchmal arbeiten muss.«
»Danke«, sagte Marla und spürte, wie sie rot wurde. Das Kompliment tat ihr gut. Heute Abend würde sie tatsächlich mit der Familie essen. Endlich! Na ja, sie musste sich auf Suppe beschränken. Ihre Kiefer waren immer noch fixiert. Aber es war ihre Familie, und sie wollte sich zugehörig fühlen, ihrer Tochter und ihrem Mann näherkommen.
Und sie sah tatsächlich besser aus, fand sie beim Anblick ihrer Erscheinung im Foyerspiegel, als sie Helene zur Haustür begleitete.
Da klingelte das Telefon. Sie überlegte nicht lange, sondern nahm den Hörer ab.
»Hallo?«
»Marla, bist du das?«, fragte eine Frau.
»Hallo?«, mischte sich eine andere Stimme dazwischen. Carmen hatte noch vor dem zweiten Klingeln abgehoben.
»Ich nehme den Anruf an«, sagte Marla rasch. Es klickte in der Leitung; Carmen hatte aufgelegt. »Ja, hier ist Marla«, sagte sie und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Eugenia, die noch an der Haustür stand und Helene verabschiedete, herumfuhr.
»Dem Himmel sei Dank, dass ich dich endlich erreiche«, hauchte die Anruferin mit einem tiefen Seufzer. »Ich bin’s, Cherise. Seit dem Unfall versuche ich ständig, dich an die Strippe zu bekommen.«
Die Haustür wurde geschlossen. Eugenia drehte sich um und sah Marla aus zusammengekniffenen Augen an, als sei sie eine strenge Lehrerin und Marla eine ungezogene Fünftklässlerin, die in der Klasse Zettelchen weitergibt.
»Jedes Mal wurde ich vertröstet, aber Nick sagte, ich sollte es weiter versuchen und … nun, Gott der Herr hat mir geholfen. Wie fühlst du dich?«, fragte Cherise mit Besorgnis in der Stimme.
»Besser«, erwiderte Marla, ohne die missbilligende Miene ihrer Schwiegermutter zu beachten. Im Obergeschoss begann das Baby zu weinen.
»Ich weiß, du hast schwere Zeiten durchgestanden«, sagte Cherise. »Die Verletzungen, und dann der Verlust deiner Freundin … Es ist schrecklich, ganz furchtbar. Die Wege des Herrn sind oft unergründlich.«
Was du nicht sagst.
»Der Reverend und ich würden dich gern besuchen.«
»Der Reverend? Meinst du deinen Mann?«, fragte Marla.
»Ja. Ach, richtig … Ich habe gar nicht an deine Amnesie gedacht.« Marla hörte an Cherise’ Stimme, dass sie
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