Dark Swan - Mead, R: Dark Swan
Ausreden liefen darauf hinaus, dass man nicht daran zu arbeiten brauchte, sich jemandem zu öffnen und verletzlich zu sein. Wenn ich jetzt wirklich Kiyos Nähe wollte, mit ihm zusammen sein wollte, dann musste ich mir das ansehen, was über Sex hinausging. Sex war einfac h – zumal mit ihm. Aber es würde hart sein, aufs Neue zu lernen, wie ich Nähe zu jemandem herstellte und Vertrauen.
Ich sah weg, weil ich nicht wollte, dass er mir die Angst ansah, aber zu spät. Ich weiß nicht, wie er das machte, aber manchmal schien er mich besser zu kennen als ich mich selbst.
Er stand auf und trat hinter mich, knetete die Verspannungen in meinem Nacken, meinen Schultern. „Eugenie.“ Mehr sagte er nicht, mit warmer Stimme.
Ich ließ mich gegen ihn sinken und schloss die Augen. „Ich weiß nicht, wie das geht.“ Damit meinte ich das mit ihm und mir, aber wenn ich mir mein Leben so ansah, passte dieser Kommentar auf so ziemlich jeden Aspekt.
„Na ja, wir könnten erst mal aufhören, uns zu streiten. Diesen ganzen anderen Kram beiseiteschieben und ausgehen.“
„Jetzt gleich? Wie bei einer Verabredung?“
„Klar.“
„Mit einem Fingerschnippen? So einfach geht das?“
„Fürs Erste. Und jetzt mal ehrlich, es ist nur so schwer oder hart, wie wir beschließen, es uns zu machen.“
Wir nahmen Kiyos Wagen, einen echt schnuckeligen 1969er Spider, und fuhren zu einem meiner Lieblingsrestaurants: Indian Cuisine of India. Das klang doppelt gemoppelt, aber dass es sich um Gerichte aus Indien handelte, hatte dringend ergänzt werden müssen. In Anbetracht der vielen Restaurants hier in der Gegend, die auch indianische Küche auf der Speisekarte hatten, waren dort ständig Touristen aufgelaufen, die Maisaufläufe und ausgebackenes Brot erwartet hatten und nicht Curry mit Naan.
Die Spannung zwischen uns legte sic h – die feindselige jedenfall s – , auch wenn er noch einmal einen nachdenklichen Moment hatte und fragte: „Na schön, ich muss es wissen. Stimmt es, dass du ihn geküsst hast?“
Ich lächelte vieldeutig. „Es ist so schwer oder hart, wie wir beschließen, es uns zu machen.“
Er seufzte.
Nach dem Essen fuhr er uns aus der Stadt hinaus, wollte aber nicht sagen, wohin. Knapp vierzig Minuten später fuhren wir in einem weiten Bogen einen hohen Hügel hinauf. Kiyo fand eine Stelle, wo schon andere Autos standen, aber dort war kein Parkplatz mehr frei, also musste er wieder zurückfahren und ein ganzes Stück weiter unten parken. Inzwischen wurde es richtig dunkel, und es war schwierig, ohne Lampen den Trampelpfad nach oben zu finden. Kiyo nahm meine Hand und führte mich. Seine Finger waren warm, sein Griff fest und sicher.
Wir brauchten beinahe eine halbe Stunde, dann führte der Pfad auf eine kleine Lichtung. Ich ließ mir meine Verblüffung nicht anmerken. Die Lichtung war voller Menschen, von denen die meisten Teleskope aufgestellt hatten und zum klaren, sternenübersäten Himmel hinaufschauten.
„Ich habe die Anzeige in der Zeitung gesehen“, erklärte Kiyo. „Das ist der Verband der Amateurastronomen. Sie haben hier so etwas wie einen Tag der offenen Tür.“
Und tatsächlich waren alle mehr als bereit, uns einen Blick durch ihre Teleskope werfen zu lassen. Sie wiesen uns auf besonders interessante Himmelsphänomene hin und erzählten Geschichten über Sternbilder. Die kannte ich zu einem großen Teil schon, hörte sie mir aber gern noch mal an.
Das Wetter war perfekt für so etwas. Warm genug, um ohne Jacke gehen zu könne n – wobei ich aber wegen der Waffen eine tru g – , und so klar, dass man gar nicht mehr wusste, was Luftverschmutzung überhaupt war. Das Flandrau-Observatorium drüben bei der Universität bot fantastische Vorführungen an, aber mir gefiel, wie locker es hier draußen zuging.
Während ich einem älteren Mann zuhörte, der etwas über den Andromedanebel erzählte, dachte ich darüber nach, wie unermesslich groß das Dasein eigentlich war. Es gab so viel, von dem wir nichts wussten. Die äußere Welt, das Universum, erstreckte sich in die Ewigkeit. Soweit ich wusste, reichte die innere Welt der Geister genauso weit. Ich wusste nur von drei Welten: die Welt, in der wir lebten, die Welt, in der die Toten lebten, und die Anderswelt, die alles dazwischen umfasste. Viele Schamanen glaubten, dass hinter alldem noch die göttliche Welt kam, eine Welt Gottes oder der Götter, die wir uns nicht einmal vorstellen konnten. Als ich zu dem Schneesturm von Sternen hinaufsah, kam
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