Dark Swan - Mead, R: Dark Swan
überwältigenden Wunsch, in die Anderswelt zu eilen, ein Ende.
»Kiyo!«, entfuhr es mir. Er saß mit einem Kaffee am Tisch, beide Hunde zu seinen Füßen. Ich hatte ein schräges Déjà-vu wegen des Kaffees mit Roland gestern und hegte den Verdacht, dass schon wieder ein »Gespräch« auf mich wartete.
»Eugenie«, sagte er und sah von seiner Zeitung auf. Seine Augen waren warm und schokoladenbraun und randvoll mit Liebe. Er stand von seinem Stuhl auf und kam mit offenen Armen auf mich zu. Ich fing schon an, mich in seine Umarmung zu begeben, aber irgendetwas ließ mich zurückzucken, irgendein schützender Instinkt meines Körpers, der seine Sicherheit bewahrt wissen wollte. Ich wusste, dass Kiyo nicht Leith war. Ich wusste, dass er mich liebte – aber irgendetwas in mir schreckte einfach vor jeder Berührung zurück. Bis jetzt hatte mich nur meine Mutter wieder umarmen dürfen.
In Kiyos Blick lagen Traurigkeit und Verletztheit über diese Zurückweisung, aber anscheinend verstand er mich. Er berührte mich nur verlegen am Arm, was ich ohne großes Zurückzucken zulassen konnte. Wir setzten uns hin – ich goss mir erst noch rasch einen Kaffee ein –, und er nahm meinen Anblick richtig in sich auf mit diesen ausdrucksvollen Augen, als hätte er mich jahrelang nicht gesehen. Natürlich hatten sich diese letzten zwei Wochen oder so für mich definitiv wie Jahre angefühlt; von daher passte der Vergleich schon.
»Wie geht es dir?«, fragte er. »Du hast mir dermaßen gefehlt. Ich hab mir solche Sorgen gemacht.«
»Mir geht’s gut. Ich war in gutes Händen.«
»Was macht deine Schulter?«
Ich zog sie leicht hoch. »Steif. Aber sie wird wieder. Vielleicht sollte ich rüber in die Anderswelt gehen und kurz einen Heiler darauf ansetzen.«
Prompt verdüsterte sich seine Miene. »Ich glaube, es ist besser, wenn du dich eine Weile von dort fernhältst.«
»Himmel. Nicht du auch noch. Ich bin die Herrscherin dieses Landes. Ich muss dorthin zurück.« Schlagartig hatte ich wieder diesen Traum vor Augen. Es war mehr als eine Regung des Unbewusstseins, wurde mir klar. Das Dornenland und ich waren miteinander verbunden. Wir konnten nicht getrennt voneinander existieren. Dass es sterben würde, wenn ich ihm fernblieb, hatte ich gewusst; nun begriff ich auch, dass für mich vielleicht dasselbe galt.
»Es muss doch einen Ausweg geben. Ich hab mit Maiwenn geredet, und sie will Nachforschungen anstellen. Irgendwann in der Geschichte der Anderswelt muss doch mal jemand vor seinem Tod sein Königreich aufgegeben haben.«
»Ist das denn eine gute Idee? Dass ich es aufgebe?«
»Natürlich.« Er sah mich schockiert an. »Du hast es nie gewollt. Das hast du doch hundertmal gesagt. Es wäre für alle Beteiligten besser. Die nächste Person, die sich mit dem Land verbindet, verwandelt es auch bestimmt nicht wieder in eine Wüste. Du wärest frei und könntest wieder dein Leben hier aufnehmen; du wärest die Magie wieder los …«
Ich sah ihn scharf an. »Die werde ich erst recht nicht wieder los.«
»Schon klar.« In seiner Stimme lag Härte. »Aber außerhalb der Anderswelt wäre die Versuchung kleiner. Warum zum Teufel hast du mir nicht erzählt, dass du dieses ganze Zeug gelernt hast?«
»Ich hab’s dir erzählt! Ich hab doch gesagt, dass Dorian mir Ysabel geschickt hat.«
»Was du dort in dem Haus gemacht hast … das hatte nichts mit dem zu tun, was sie dir angeblich beigebracht hat.«
»Es ging alles ganz schnell … Ich hab’s die halbe Zeit über selber nicht begriffen, und ich wollte dich nicht beunruhigen.«
»Niemand lernt das so schnell«, brummte er. Mir fiel wieder ein, was Shaya gesagt hatte. Der Sturmkönig schon.
»Na, ich bin jedenfalls nicht allmächtig. Ich habe während dieses Martyriums die Kontrolle über Volusian verloren. Er ist nicht gekommen, als ich ihn gerufen habe.«
»Oh. Ich dachte, du wüsstest das.«
»Was denn?«
»Er ist jetzt an Dorian gebunden.«
Ich starrte ihn mehrere Sekunden lang an. »Oh mein Gott. Ich dachte mir schon, dass das passieren könnte …«
Kiyo fixierte mich. »Ach ja? Warum zum Teufel hast du ihn dann zu Dorian geschickt? Er hätte doch auch mich benachrichtigen können.«
»Na, genau deswegen! Weil ich wusste, dass Dorian ihn würde binden können, wenn er sich aus meinem Griff befreit.«
»Mag sein. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass du Dorian damit einen nuklearen Sprengkopf frei Haus geliefert hast.«
Ich sagte es nicht, aber ich hatte
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