Dark Swan - Mead, R: Dark Swan
die Aufmerksamkeit auf mich zog. Ich bezweifelte, dass sie mich je zuvor im vollen Ornat einer Feinen gesehen hatten.
In einem solchen Kleid ein Pferd zu reiten ging mir voll auf die Nerven. Ich tat es nicht zum ersten Mal und war erleichtert, dass der Rock nicht ebenso eng anlag wie das Oberteil. Außerdem war ich heilfroh, dass wir heute Abend nur eine kurze Strecke vor uns hatten. Die Anderswelt faltete sich in sich selbst zurück und führte Reisende über Routen, die eigentlich unmöglich waren und sich aber oft als der direkte Weg erwiesen. Diese Routen durchquerten auch andere Königreiche– oft die meiner Nachbarn. Darum war unser Trupp höchst wachsam und unter Anspannung. Zu meiner Erleichterung führte uns die Straße nicht ins Vogelbeerland– was immer wieder einmal geschah. Die einzige Zwischenstation auf dem Weg ins Eichenland war ein kurzer Abstecher ins Weidenland. Unangenehm, aber sicherer als Feindgebiet.
Sobald Dorians Schloss in Sicht war, hob sich die Stimmung meiner Truppe, und die Lust, in seine Party reinzuplatzen, kehrte zurück. Sein Zuhause bot alles, was man von einem Schloss erwartete: eine Vielzahl von Türmen, dicke Mauern aus geschwärztem Fels, Buntglasfenster. Wie immer war es Herbst im Eichenland; ich konnte im Dunklen zwar nicht die bunten Baumkronen sehen, aber der Duft der Erntezeit und die Kühle der Luft auf meiner Haut bestätigten es mir. Auf dem umliegenden Gelände hatten sich Bauersleute um Lagerfeuer versammelt und sahen neugierig zu uns herüber. Auch bei Dorian suchten Kriegsflüchtlinge Schutz. Beim Anblick ihrer Gesichter verknotete sich mir der Magen, und ich zwang mich dazu, woanders hinzusehen.
Diener nahmen uns die Pferde ab, und unser unerwarteter Besuch sorgte für Unruhe. Zum Abendessen trafen ständig Gäste ein– gerade weil es bei Dorian war–, aber wir waren VIPs. Ich ging forsch Richtung Festsaal, während unterwürfige Diener an meine Seite eilten und mir angemessene Unterbringung für meine Begleiter versprachen und wissen wollten, was wir vielleicht noch benötigten. Als ich bei den Saaltüren ankam, blieb ich stehen. Selbst ich mit meinem schlechten Benehmen einer Menschenfrau wusste, dass ich erst angekündigt werden musste.
Ein Herold schwang die Tür auf und brachte Licht, Farbe und Lärm zum Vorschein. Dorian hatte hier heute vielleicht hundert Gäste versammelt, die an diversen Tischen auf Sesseln und Sofas saßen. Die meisten gehörten dem Adel an. Manche waren seine Soldaten. Andere waren Wesen der Anderswelt, wie ich sie bekämpfte, wenn sie in die Menschenwelt überwechselten. Wie ich es mir gedacht hatte, wurde das Abendessen bereits serviert; überall wimmelten Diener zwischen den plaudernden und speisenden Gästen umher.
Alldem wurde ein Ende gesetzt, als die Stimme des Herolds ertönte: „Ihre Majestät, Königin Eugenie Markham, genannt Odile Dark Swan, Tochter von Tirigan dem Sturmkönig, Beschützerin des Dornenlands, Liebling der dreifachen Mondgöttin.“
Ich würde mich nie an diese ganzen Titel gewöhnen. Die Gespräche verebbten, und dann gab es das übliche Scharren von Stuhlbeinen, als die Leute hastig aufstanden. Früher hätte ich mich bei so etwas gewunden, aber inzwischen wusste ich, was von mir erwartet wurde. Ich begann vorwärtszuschreiten, blieb aber nach zwei Schritten stehen. Die meisten meiner Soldaten waren bei der Tür geblieben, und von meinem übrigen Gefolge war niemandes Erscheinen zu verkünden, denn ich hatte keine hochrangigen Adeligen mitgebracht. Mit einer Ausnahme. Ich sah den Herold an.
„Meine Schwester, verkünde das Erscheinen meiner Schwester.“
Er bekam Glotzaugen, und ich konnte mir seine Verblüffung vorstellen. Nicht nur handelte es sich aus meinem Munde um eine ziemlich befremdliche Aufforderung; ihr war auch schwer nachzukommen, denn Jasmine besaß keinerlei offizielle Titel. Aber der Bursche schaltete schnell. War ja auch sein Job.
„Lady Jasmine Delaney, Tochter von Tirigan dem Sturmkönig, Schwester von Eugenie der Dornenkönigin.“
Das trug uns einige verblüffte Blicke ein. Ich lächelte den Herold an. „Vielen Dank“, sagte ich freundlich. „Aber nenne das nächste Mal erst meinen Namen und dann den unseres Vaters.“
Er wurde blass. „J-jawohl, Eure Majestät.“
Ich trat am Kopf meiner Gruppe in den Saal und konnte nicht fassen, dass ich das zu dem Herold gesagt hatte. Wo war das denn hergekommen? Aus einem Bedürfnis, den Sturmkönig zu schmälern? Dem Wunsch,
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