Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
der eine Nervensäge – weil er recht hatte. Es lag absolut im Bereich des Möglichen, dass wir alles schafften, dass wir die Talismane zerstörten und Dorian befreiten, aber die Talismane mussten oberste Priorität haben. Wir durften es nicht riskieren, das Überraschungsmoment zu verlieren. Dorian sah das garantiert auch so. Und trotzdem …
»Ich kann ihn nicht einfach im Stich lassen«, sagte ich leise.
Kiyo sah mich lange an, bevor er antwortete. »Dann rette ich ihn.«
Ich sah abrupt hoch. »Was?«
»Dann rette ich ihn. Du brauchst mich nicht dafür, die Monarchen zu befreien, und danach braucht ihr mich nicht dafür, die Talismane zu kassieren. Dafür brauchst du magisch Begabte, keine Kämpfer. Wenn ich mich parallel zu eurem Ausbruch um Dorian kümmere, sorgt das sogar richtig schön für Ablenkung und verschafft euch ein bisschen Spielraum. Wahrscheinlich kann ich sogar ein paar der anderen dazu kriegen, dass sie mir helfen – obwohl du wahrscheinlich besser dran wärst, wenn Jasmine und Pagiel dir helfen würden.«
Ich starrte ihn verblüfft an. »Du könntest getötet werden.«
Kiyo bedachte mich mit einem trockenen Lächeln. »Das war mir schon klar, als ich das Weidenland verlassen habe.«
»Ja, aber nun willst du dein Leben für Dorian riskieren. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich das habe kommen sehen.«
»Die Mission hat bei mir stets oberste Priorität gehabt. Ich habe nichts Persönliches gegen Dorian – das hab ich dir doch schon zu erklären versucht, als er in dieser Dryadentrance gefangen gewesen ist. Wenn ich gleichzeitig ihn retten und dazu beitragen kann, dass wir unser Ziel erreichen … prima. Umso besser.«
»Danke«, sagte ich. »Das … das weiß ich wirklich zu schätzen.«
Kiyo zog eine Augenbraue hoch. »Du empfindest wirklich sehr viel für ihn, hm?«
»Die ganze Zeit«, sagte ich, ohne ihm in die Augen zu sehen. »Selbst wenn wir uns wegen irgendwas gestritten haben, sind wir immer füreinander da gewesen.«
Erst, als ich es aussprach, ging mir auf, wie wichtig das war. Wenn Kiyo und ich uns wegen irgendetwas nicht einig gewesen waren, hatte das fast immer zu einem Bruch geführt – darum ja das ständige Sich-Trennen und Wieder-Zusammenkommen, das schließlich zur endgültigen Trennung geführt hatte. In Alabama war mir aufgefallen, wie idyllisch es mit Evan gewesen war … wie friedlich und locker – weil wir uns nie gestritten hatten. Er hatte mir nie widersprochen oder mir gesagt, was ich zu tun hatte. Manche halten das vielleicht für etwas Gutes, aber ich fand es irgendwie unrealistisch. Es fällt natürlich leicht, jemanden zu mögen, der ständig mit einem übereinstimmt. Der Trick ist, mit jemandem verbunden zu bleiben, der einem Sachen sagt, die man nicht hören will. So war es zwischen Dorian und mir immer gewesen. Mit sehr wenigen Ausnahmen hatten wir als starkes Team funktioniert, selbst wenn wir stinksauer aufeinander gewesen waren.
Falls Kiyo sich denken konnte, was mir gerade durch den Kopf ging, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Er kam wieder auf die Taktik zu sprechen. »Es kommt darauf an, dass wir das Timing richtig hinkriegen. Wir müssen Dorians Rettung und die der anderen Monarchen aufeinander abstimmen – aber immer noch genug Zeit übrig behalten, um zu schauen, ob wir den Schlüssel zu dem Zauber finden können.«
»Aber nicht zu viel Zeit«, warnte ich. »Dieses Miststück will die Gäste beim Abendessen mit seiner Hinrichtung unterhalten.«
»Uhren, nach denen wir uns richten könnten, gibt es hier nicht.« Kiyo warf einen Blick aus dem kleinen Fenster. »Und von der Sonne bekommst du hier drin auch nicht viel mit. Dieses Fenster ist wirklich nicht gerade geeignet für – warte mal. Der Falke. Wir werden Aleas Falken schicken.«
»Fleck?«
»So heißt er?«, fragte Kiyo ungläubig.
»Du hast deine Katzen nach den vier Reitern der Apokalypse benannt. Was ist da an ›Fleck‹ so verkehrt?«
Kiyo schüttelte den Kopf, weil er für solche Debatten keine Zeit hatte. »Ich muss mich eh mit den Hemlockleuten treffen. Ich werde dafür sorgen, dass Alea dir, ähm, Fleck schickt, wenn wir mit Dorians Rettung loslegen. Also, wenn der Falke bei dir ankommt … warte noch, hm, zehn Minuten, und dann leg los.«
Besser konnten wir das mit unseren beschränkten Mitteln nicht abstimmen. Kiyo und ich ackerten auf die Schnelle noch diverse andere Einzelheiten durch, darunter sehr genaue Richtungsanweisungen, wie man von
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