Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
nicht an. Warum auch, an Vitaminmangel würde ich bestimmt nicht zugrunde gehen.
An der gegenüberliegenden Seite hing ein Fernsehgerät an einer Deckenhalterung. Es war die meiste Zeit über ausg eschaltet, und wenn es mal rannte, bekam ich nicht allzu viel von dem gebotenen Programm mit. Entweder, weil ich gleich wieder einschlief oder ich mit meinen Gedanken ganz woanders war. Meistens im Jenseits.
Links von mir schien helles Licht durch die Fenster.
Die Kleiderschränke befanden sich neben der Tür, die in das winzige Badezimmer führte.
Alles in allem sehr zweckmäßig. Und trostlos. Am Schlimmsten waren die grässlich weißen Wände. Ich kann nicht sagen, warum, aber dieses Weiß erdrückte jede Au ssicht auf Heilung. Sogar die Aussicht auf Hoffnung auf Heilung. Es handelte sich um jenes Weiß, das in solch ausgeprägter Reinheit sonst nur in Form exquisiter Einladungskarten vorkommt, auf denen in goldenen Lettern geschrieben steht: Ich möchte Dich, lieber Tod, herzlich dazu einladen, heute Nachmittag bei mir vorbeizuschauen und mir den letzten kümmerlichen Rest meines Lebens aus dem Körper zu reißen .
Gegen das Todesweiß der Wände hob sich eine dunkel gekleidete Gestalt ab, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Der Mann trug einen teuren schwarzen Anzug, Hemd und Krawatte. Italienische Schuhe, soweit ich das beurteilen kann. Das blonde Haar war streng zur Seite gescheitelt. Die G esichtszüge waren faltenlos, wie in Marmor gemeißelt. Und genauso bleich. Der Mann wirkte fast krank. Wären da nur nicht die blauen Augen gewesen. In ihnen spiegelte sich das gesamte Leben. Vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges.
»Wer sind Sie?«, brachte ich mühevoll über die aufg esprungenen Lippen.
Der Mann sagte nichts. Er schritt nur von einer Seite me ines Betts auf die andere und wieder zurück, immer in gebührendem Abstand. Dabei ruhten seine blauen Augen die ganze Zeit über auf mir. Er musterte mich wie ein Forscher seine Laborratten. In seinem Blick stand weder Mitgefühl noch Mitleid noch Bedauern. Aber er war auch nicht gleichgültig. Eher wissend. Ganz so, als ob er den Tod schon Millionen Male gesehen und akzeptiert hatte. Für ihn, so denke ich jedenfalls darüber, war der Tod nichts weiter als ein Job, der getan werden musste.
»Sind Sie Arzt?«, fragte ich.
Wieder keine Antwort. Stattdessen trat er an meine Seite und ging in die Knie, wollte mir von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Und dann starrte er wieder, dieses Mal so intensiv, dass ich seine Blicke wie Messerstiche durch meine Haut dringen spürte. Sie durchstachen Fleisch und Knochen und bohrten sich ihren Weg bis an den Grund meiner Seele. Das Krankenzimmer wurde kleiner und kleiner, die Wände stürzten aus allen Richtungen auf mich ein. Ich fiel in eine endlose Leere. Über mir, als sähe ich aus einem Brunnenschacht nach oben, glühten blaue Augen. Bald war nichts mehr übrig bis auf einen kaum wahrnehmbaren Lichtpunkt in tiefster Dunkelheit.
Ich schrie. Aber alles blieb still.
Und dann war es vorbei.
Ich befand mich wieder in meinem Zimmer. Der Mann hockte immer noch neben mir, das Gesicht eine steinerne Maske. Er erhob sich, trat an das Bettende.
Zum ersten Mal griff ich nach der Klingel. Wie ich das zustande brachte, weiß ich nicht. Angst verleiht wohl ungeheure Kräfte.
»Es wird Zeit zu gehen«, hörte ich die Stimme des Mannes in meinem Kopf. Seine Lippen hatten sich nicht bewegt.
Panisch drückte ich den Schwesternrufknopf. Ich nahm den Daumen gar nicht mehr weg, ließ ihn einfach auf dem Knopf.
»Aber nicht für dich.« Der Mann trat an die Zimmertür und drehte sich nochmals zu mir herum. »Wir sehen uns ein and eres Mal wieder.« Dann ging er.
Keine fünf Sekunden später stürmte eine besorgt dreinbl ickende Schwester Anna in mein Zimmer.
»Was ist denn los?«
»Der Mann«, sagte ich, »wer war der Mann, der eben mein Zimmer verlassen hat?«
Anna runzelte verwirrt die Stirn.
»Es ist niemand aus Ihrem Zimmer gekommen.« Sie sah mich an als wäre ich übergeschnappt.
»Das kann doch nicht sein. Ich habe ihn klar und deutlich vor mir gesehen.« Ich redete mehr mit mir selbst als mit Schwester Anna und schüttelte den Kopf. Das konnte doch kein Traum gewesen sein. Oder eine Halluzination. Dafür ha tte es zu real gewirkt.
Schwester Anna hatte wohl meine Gedanken gelesen, denn sie meinte: »Sie haben s icher nur böse geträumt.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, wechselte sie das Thema.
»Zeit
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