Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
zum Frühstücken. Und danach ist die Morgenwäsche an der Reihe.«
Damit meinte sie die tägliche Waschaktion mit einem feuchten Waschlappen.
Wieder so ein Vergnügen, das meine Krankheit mit sich bringt. Was hätte ich darum gegeben, auf meinen eigenen zwei Beinen unter dem heißen Brausestrahl zu stehen, mir das Haar einzushampoonieren und die Duschcreme auf meinem Körper zu verteilen. Meine Hände auf meinem Körper. Und nicht Schwester Annas. Ich bin zwar dankbar für die zahlreichen helfenden Hände, aber es gibt Dinge im Leben, die man lieber selbst erledigt. Waschen, Essen oder auch Scheißen.
Anna kam mit einer Schüssel Haferschleim zurück und setzte sich auf einen Stuhl, den sie neben mein Bett gerückt hatte. Löffel für Löffel flößte sie mir den Brei ein, dabei hatte sie ständig den Mund in freundlichem Plauderton o ffen.
Doch ich hörte ihr nicht zu, ständig kehrten meine Geda nken zu dem rätselhaften Mann in Schwarz zurück.
»Na, da hat aber jemand Appetit.«
»Was?«, fragte ich verwirrt und löste mich von meinem Grübeln. Ich hatte keine Ahnung, was Anna meinte.
Sie deutete auf die leere Schüssel. »Alles aufgege ssen.«
Normalerweise würgte ich nur vier, fünf Löffel von der Br ühe hinunter. Zum einen, weil der Haferschleim mir nicht schmeckte, aber hauptsächlich, weil dann das Brennen in Speiseröhre und Magen begann.
Anna lächelte. »Ein gutes Zeichen.«
Tatsächlich war es viel mehr als das. Appetit und Hunger wuchsen mit jedem Tag; ich aß mich von Haferschleim zu Hühnersuppe zu Grießschmarn bis zum Schnitzel wieder ins Leben zurück. Meine Muskeln regenerierten sich, und ich legte an Gewicht zu, die Knochen wurden fest. Meine Organe nahmen ihre Tätigkeit wieder auf. Mein Gesicht sah wieder aus wie vor der Krankheit.
Klar, ich musste zur Physiotherapie; quasi wieder von vo rne beginnen. In kleinen Schritten, wie mein Therapeut zu sagen pflegte. Aber das war ein Opfer, das ich nur allzu gern brachte.
Bei den Untersuchungen konnten die Ärzte keine einzige Krebszelle feststellen; sie sprachen von einem Wu nder.
Ob Wunder, Zufall, oder göttliches Wirken - das ist mir scheißegal. Ich bin einfach froh, wieder gesund zu sein.
Heute arbeite ich wieder in meinem alten Job. Auch mit meinen Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen ist wieder alles beim Alten. Nur ab und zu, wenn von meiner Erkrankung die Rede ist, blicken sie beschämt zu Boden, vergraben den Kopf in den Schultern und scharren verlegen mit den Füßen. Dann wagen sie es nicht, mir in die Augen zu schauen. Meistens lege ich ihnen die Hand auf den Arm und erkläre ihnen, dass ich ihnen nichts übel nehme. Immerhin weiß ich, dass sie sich meinetwegen Sorgen gemacht haben; manche von ihnen hat der Kummer schier zerfressen. Es war auch für sie keine leichte Zeit. Mich beim Sterben zu beobachten, war einfach zuviel für sie. Und überhaupt, was hätten die ständigen Besuche schon gebracht? Beim Anblick meines desolaten Zustandes wären meine Freunde bloß verzweifelt, und ich wiederum hätte es nicht ertragen, sie meinetwegen unglücklich zu sehen. Nein danke, darauf kann ich verzichten.
Verheiratet bin ich immer noch nicht. Ich habe einfach noch nicht die Richtige gefunden. Das ist aber kein Grund To rschlusspanik zu bekommen; ich habe das Gefühl, dass ich noch sehr viel Zeit haben werde, die Frau fürs Leben zu finden.
Nun ist es aber nicht so, dass meine schwere Krankheit spurlos an mir vorübergega ngen ist. Ganz im Gegenteil. Der Krebs hat mich verändert. Früher habe ich keinen Gedanken an die Menschen verschwendet, die an ihm leiden. Ich denke, das ist ganz normal. Erst wenn man selbst mit solch einem Horrorszenario konfrontiert wird, kann man sich damit auch auseinandersetzen. Es ist ein grundsätzlicher Irrglaube unserer Gesellschaft, dass es genügt, auf ein Problem aufmerksam zu machen. Alles Bullshit. Umweltverschmutzung, Unterernährung in der dritten Welt, Kindersoldaten, Kriege, Naturkatastrophen. Erst wenn sie tatsächlich an unsere Tür klopfen, registrieren wir diese Probleme und sind möglicherweise bereit zu handeln. Ansonsten wissen wir nur, dass es sie gibt. Mehr nicht.
Ich weiß nun, wie schwer eine Krebserkrankung sein kann, wie sie einen auszehrt und jede Hoffnung vernichtet, und ich teile meine Erfahrungen mit Menschen, die mit dem se lben Schicksal zu kämpfen haben. Aus diesem Grund besuche ich jeden Samstag die onkologische Abteilung im Krankenhaus, um nach ihren Patienten
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