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Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)

Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)

Titel: Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Semesch , Christoph Wittmann
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zu sehen.
    Heute schaue ich bei Melanie vorbei. Melanie ist zwölf. Sie hat Leukämie. Und wird es wohl nicht schaffen.
    Ich marschiere durch den Haupteingang, vorbei an der Information und der Aufnahme. Ich folge der blauen Linie, die mich zu den Liften führt, bin aber nicht auf sie angewiesen. Den Weg würde ich blind finden. Ein Klingeln ertönt, als die Fahrstuhlkabine im Erdgeschoß ankommt und die Türen auseinander gleiten. Ein Mann steigt aus, er hat Tränen in den Augen. Er stapft auf den Ausgang zu, scheint die Welt um sich herum nicht wahrzunehmen. Ich trete beiseite und lasse ihn passieren.
    Der Mann in Schwarz ist im Haus, denke ich.
    Nachdem ich den Knopf für die Onkologie gedrückt habe, schließen sich hinter mir die Türen und der Aufzug setzt sich ruckelnd in Bewegung. Obwohl die Fahrt nach oben geht, ist sie eher ein Abstieg in die Hölle. Eine sterile, weiß gestrichene Hölle, in der es nach Desinfektionsmittel stinkt. Die Hölle der Todgeweihten. Nicht meine. Zumindest nicht mehr. Ich konnte ihr entfliehen.
    Der Fahrstuhl hält, wieder gibt es einen Klingellaut. Ich tr ete aus der Kabine und steuere auf die Schwesternstation zu. Hinter dem Tresen steht Schwester Anna über eine Akte, in der sie Notizen vermerkt, gebeugt da.
    »Hallo«, begrüße ich sie.
    Sie sieht auf und lächelt mich an. »Wie schnell doch eine Woche vergeht. Wie geht´s Ihnen denn?«
    »Kann mich nicht beklagen. Und bei Ihnen? Alles in Or dnung?«
    »Soweit dieser Job das zulässt, ja.«
    Ihr Beruf hat an Schwester Anna unübersehbare Spuren hinterlassen. Nach außen hin gibt sie immer die resolute, professionelle Krankenschwester, doch macht man sich die Mühe, sie eingehender zu betrachten, dann bröckelt die Fassade. Ihre Augen spiegeln jahrzehntelangen Kummer wider, die blonden Haare wirken seltsam farblos und stumpf. Sorgenfalten durchziehen ihr Gesicht wie tiefe Schluchten. Selbst ihr Lachen scheint aufgesetzt, unwirklich. Es ist nichts weiter als eine Maske, hinter der sie die grauenvollen menschlichen Schicksale verbirgt, die sie tagein, tagaus erlebt. Eine 1a Live-Horror-Show.
    »Bei wem schauen Sie denn heute vorbei?«
    »Bei Melanie. Wie geht´s…« Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ihr Gesicht spricht Bände. Die Maske gleitet ab, gibt den Blick frei auf ein von Trauer verzerrtes Antlitz.
    »So schlimm?«, flüstere ich.
    Schwester Anna nickt. »Der Arzt hat heute mit ihren Eltern gesprochen. Er hat ihr höchstens noch eine Woche gegeben.«
    Ich fasse nach ihrer Hand und drücke sie sanft. Ich weiß, das bringt nichts, aber sie soll wissen, dass sie nicht allein ist.
    Wieder lächelt sie. Doch diesmal ist es ein ehrliches, ein starkes Lächeln. Ich bewundere ihre Tapferkeit. Ich frage mich, ob sie weiß, dass sie eine Heldin ist? Wahrscheinlich nicht.
    »Kann ich zu ihr?«
    Sie nickt. »Ich bin mir sicher, ihre Eltern haben nichts dagegen. Außerdem mag die Kleine Sie. Sie freut sich bestimmt, Sie zu sehen.«
    Ich danke Schwester Anna und will gehen, bemerke dabei, wie ungern sie meine Hand loslässt. Sie klammert sich da ran wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. Ich muss mich beinahe von ihr losreißen, aber ich kann es nicht ändern. Ich muss gehen.
    Leise klopfe ich an Melanies Zimmertür. Nach wenigen S ekunden wird sie einen Spaltbreit geöffnet, und ihre Mutter lugt hervor. Sie sieht abgekämpft aus. Wer kann es ihr verdenken? Gibt es etwas Schlimmeres, als sein Kind zu verlieren? Ich bezweifle es.
    »Ach, Sie sind es.« Ihre Stimme klingt gebrochen, wird nur noch von Resignation g etragen. Sie schiebt die Tür auf. »Kommen Sie bitte herein.«
    »Danke«, sage ich und trete an ihr vorbei ins Zimmer.
    Stumm nicke ich ihrem Vater zu, der neben Melanie auf einem Stuhl sitzt und ihre Hand umklammert hält.
    Er will sie nicht gehen lassen.
    Melanies Mutter berührt ihren Mann sanft an der Schulter. »Lassen wir die beiden einen Augenblick allein.«
    Widerwillig steht er auf, streichelt seiner todkranken Toc hter zärtlich über den kahlen Kopf.
    Ich merke, wie viel Überwindung es die beiden kostet, das Zimmer zu verlassen. Ihre Angst, bei ihrer Rückkehr die g eliebte Tochter tot vorzufinden, erfüllt die Luft mit einem Zittern.
    Nachdem sie gegangen sind, setze ich mich zu Melanie.
    »Hallo«, sagt sie.
    »Hallo.«
    Ich erspare mir, sie zu fragen, wie es ihr geht. Was sollte sie darauf schon erwidern? Ich sterbe, aber sonst ist alles okay?
    »Schön dich zu sehen.«
    »Ich freu mich

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