Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
wäre diese noch vor einem liegende Lebensspanne viel zu kurz. Mir war sie zu lange.
Mittlerweile hatte sich der Krebs in all meine Organe hinein gefressen und Metastasen gebildet. Es kam mir so vor, als würde ein psychotischer Killergnom in meinem Inneren wüten. Nach und nach zerstörte er die lebenswic htigen Funktionen.
Gott und den Schmerzstillern sei Dank, dass ich von all dem nicht allzu viel mitbekam. Die meiste Zeit verbrachte ich schlafend. Die wenigen wachen Momente, die ich hatte, w aren hinter einer Wolkendecke aus Medikamenten, Erschöpfung und Todesangst verborgen.
Ja, ja, ich weiß. Ich habe gesagt, dass ich mir den Tod wünsche. Aber es ist ein Riese nunterschied, ob man sterben will oder einfach keine Angst vor dem Tod hat. Was mich angeht, ich fürchtete mich unheimlich vor dem Sterben. Am meisten beschäftigt mich die Frage, was danach kommt. Der Himmel? Die Hölle? Oder am allerschlimmsten: gar nichts? Nur eine ewige Leere? Egal was einem die Religionen auch einzureden versuchen, Beweise für ein Leben nach dem Tod haben sie keine. Meiner Meinung nach brauchen sie den auch nicht. Beweis hin oder her, es bleibt uns ja doch keine andere Wahl - auch wenn so mancher Wissenschaftler sicherlich seiner Formel vom ewigen Leben hinterher jagt. Und auch wenn die Religionen in all ihrer Unwissenheit den Menschen Trost und Zuversicht geben, diesen letzten Schritt muss jeder für sich alleine gehen. Ohne zu wissen, wohin er führt. Das wird keinem erspart bleiben. Das einzige, was uns begleitet, ist Vertrauen. Oder Angst. Oder Gleichgültigkeit.
So gesehen, kann man - und jetzt verzeihe man mir me inen Zynismus - das Leben wohl als einen tödlichen Virus ansehen. Und keine Impfung schützt dagegen.
Besuche hatte ich zu jener Zeit recht wenig. Meine Eltern waren schon tot - auf bald iges Wiedersehen - und verheiratet war ich nicht. Am Beginn meiner Krankheit schauten ab und zu Freunde und Arbeitskollegen vorbei. Als mir dann selbst ein blinder den Krebs ansah, blieben zuerst die Besuche der Kollegen aus und dann die der Freunde. Ich nehme es ihnen nicht übel. Wie könnte ich? Es ist schließlich kein Zuckerschlecken jemandem beim Sterben zuzusehen. Überhaupt kann ich mir nicht vorstellen, was schlimmer ist. Jemand geliebten zu verlieren oder selbst das Zeitliche zu segnen. Die Ansichten dazu sind wohl so zahlreich wie Sand am Meer.
Ich bezweifle auch, ob meine Bekannten mich in me inen letzten Stunden erkannt hätten. Mein Gesicht hatte nichts mehr mit dem fünfunddreißigjährigen, mitten im Leben stehenden Mann mehr gemein. Vielmehr glich es dem Antlitz eines Geistes. Oder dem der Gestalt in Munchs Schrei . Jegliche Freude war aus den Augen gewichen, und sie lagen in tiefen schwarzen Höhlen. Die Wangen waren eingefallen. Der Mund nicht mehr als ein farbloser Strich. Die einstmals rosa Haut hatte die Farbe von schmutzigem Elfenbein angenommen.
Wie gesagt, es war Dienstag. Ein schöner Tag, nur nicht für mich. Ohne es zu merken, hatte die Nachtschwester einen frischen Beutel Morphium an den Tropf ang eschlossen. Jeder Tropfen gab ein leises Pling von sich als er aus dem Beutel in die Kanüle tröpfelte und von dort über Schlauch und Nadel in meine angeschwollene entzündete Vene floss. Vielleicht war es ja dieses Pling , das mich an diesem Morgen aus dem Schlaf holte. Vielleicht aber auch die Blicke, die ich über meinen Körper wandern spürte. Meine Lider flatterten, als ich versuchte, die Augen zu öffnen. Selbst ein solches Minimum an Bewegung verursachte mir Qualen. Der Killergnom hackte seine Krallen in die Augenlider und zog sie wie Rollos immer wieder nach unten, kaum dass ich es geschafft hatte, sie einen Spaltbreit zu öffnen. Doch schließlich gelang es mir.
Das Krankenzimmer war dasselbe wie schon die letzten zwei Monate zuvor. Das Bett stand an der Wand in der Mi tte des Raums. In der Mauer war ein Paneel angebracht, das zwei Anschlussventile und einen elektrischen Steckplatz erkennen ließ. Für Sauerstoff und medizinische Gerätschaften.
An einem Balken über meinem Krankenbett schwebte ein Haltegriff, mit dessen Hilfe ich mich noch vor einer Woche hatte aufrichten können. Jetzt war ich zu schwach dazu. Gleich neben diesem Griff baumelte die Notfallglocke. Ich ha tte sie noch nie benutzt.
Zu meiner Rechten stand ein Nachtkästchen, auf dem das Telefon und eine Schüssel Obst Platz gefunden hatten. Fr ische Äpfel, Bananen, Orangen. Eine Vitaminbombe. Ich rührte die Früchte
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