Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
gesamten Länge der Steuerbordseite auf seinen Untergang zu. Vereinzelt standen entlang der Reeling Passagiere herum, schrieen verzweifelt, ruderten wild mit den Armen oder waren vor Schock gelähmt.
Kapitän Börnmann dachte an seine Karte, die so viele Seemänner vor ihm in den sich eren Hafen geleitet hatte. Doch sie war viel mehr als bloß ein Wegweiser, sie war eine Warnung. Eine Warnung, die er missachtet hatte.
Ganz klar erschien die Karte vor seinem geistigen Auge, die feinen Striche und Linien an ihrem Rand, die kennzeic hneten, wo das Meer über den Rand der Welt schwappte, so wie es damals, zu den Anfängen der Seefahrt, Glaube gewesen war. Jetzt, wo er sich der Gefahr gegenüber sah, wirkten die vergilbten Darstellungen wie ein Stoppschild. Bis hierhin und nicht weiter. Doch diese Grenze hatte er überschritten.
Die Schreie und das panische Herumrennen seiner Besa tzung registrierte er nur schemenhaft durch einen Schleier. Seine Gedanken erforderten seine gesamte Aufmerksamkeit.
In gewisser Weise war er der größte Entdecker von allen, er allein hatte das Ende der Welt erreicht. Kein anderer noch so ruhmreicher Seefahrer hatte dies bisher vollbracht.
Als die riesige Stolz der Meere über die Klippe stürzte und in tosendem Rauschen verschwand, ihr Leben aushauchte, trug Kapitän Oliver Börnmann ein Lächeln im Gesicht.
Ende
Leid
Das erste Mal sah ich ihn an einem Dienstag. Ich glaube, es war ein wunderschöner sonniger Tag, an dem Kinder im Freien herumbalgten, Fangen und Verstecken spielten, wä hrend ihre Eltern sie wie Glucken beobachteten und sie ermahnten, nicht so wild zu sein. Liebespaare schlenderten Hand in Hand durch grüne Parkanlagen, küssten sich leidenschaftlich. Mancher lag einfach in der Sonne und ließ sich bräunen, andere wieder vergnügten sich beim Joggen, Frisbee-Werfen oder Buchlesen im kühlen Schatten einer uralten Eiche. Das Leben war einfach schön, und die Menschen genossen es.
Außerdem war es einer jener Tage, wie man sie sich nicht schlimmer vorstellen kann. Schon beim Aufwachen fühlte ich mich groggy, so als ob der unruhige Schlaf, den ich hi nter mir hatte, mir nicht die Müdigkeit hatte nehmen können. Stattdessen lastete sie wie Felsbrocken auf meinem Körper. Mein Brustkorb hob und senkte sich, aber nur um wenige Millimeter. Und selbst die fügten mir schmerzhafte Stiche in die Lungen zu. Luftröhre und Bronchien brannten bei jedem Atemzug, als schlüge jedes einzelne Sauerstoffatom mit unbändiger Kraft gegen die entzündeten Epithelien. Hätte ich es gekonnt, ich hätte sofort mit dem Atmen aufgehört. Nur um die Schmerzen loszuwerden. Leider lag das nicht in meinem Ermessen.
Unter der bis zu meinem Hals hochgezogenen Decke ve rsteckte sich ein ausgemergelter, des Lebens überdrüssiger Körper. Wie Segel bei Flaute hing die Haut von den morschen Knochen. Sie waren dermaßen porös, dass ein vertrockneter Zweig voller Neid auf sie geschielt und jede Wette, wer denn unter lauterem Knacken zerbrach, glatt verloren hätte.
Schon seit geraumer Zeit konnte mich mein Skelett nicht mehr stützen. Schuld daran war ein einzelnes Wort. Ein wi nziges beschissenes Wort. Mein Hausarzt konfrontierte mich damit, nachdem ich ihn zwecks einer Routineuntersuchung konsultiert hatte. Krebs, meinte er. Diese bitterböse Überraschung versetzte mir einen Magenschwinger, der mein Frühstück in die falsche Richtung aus mir heraus trieb. Es stimmt schon: »Worte können physischen Schaden zufügen.«
Manchmal frage ich mich, wer auf die hirnverbrannte Idee gekommen ist, dieser heimtückischen Krankheit einen de rmaßen dämlichen Namen zu verpassen. Ich meine, was haben uns diese Tiere angetan, das rechtfertigt, ihnen Unrecht zu tun? Tja, keine Ahnung. Was soll´s. Ist ohnehin egal.
Zwei Monate nach der ersten Hiobsbotschaft kam die zwe ite. Diesmal lautete sie: unheilbar. Das nächste Wort, das mich mit ungebremster Wucht traf.
Ich bettelte die Ärzte an, den Krebs aus mir herausz uschneiden. Ich verlangte von ihnen, mich mit Medikamenten voll zu pumpen. Sie sollten mich mit Strahlen bombardieren. Doch das alles hätte keinen Sinn, erklärten sie mir nüchtern. Zu weit fortgeschritten. Das einzige, das sie tun konnten, war, mir Schmerzmittel zu verabreichen, wenn es soweit war und es hart auf hart käme.
Die dritte Hiobsbotschaft war eigentlich gar keine. Vie lmehr war sie eine Erlösung. Höchstens noch ein Monat. Ich schätze, für die meisten Menschen
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