Dark Village 02 - Dreht euch nicht um
eigenen Schritte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, irgendwie gespenstisch.
Wenig später hatte er den See erreicht. Er blickte über das Wasser, es war still und dunkel. Tief. An hellen Sommertagen war es idyllisch, aber jetzt musste er an blutige amerikanische Gruselfilme denken. An Leichen, die aus dem Wasser stiegen und Rache nahmen …
Nein. Er schüttelte sich. Reiß dich zusammen. Mach dich nicht lächerlich. Nur ein einziges Mal!
Er schlug die Jacke zurück, griff mit der rechten Hand nach hinten und zog die Waffe aus dem Hosenbund. Er hielt den Re volver in der Hand und betrachtete ihn, als wollte er prüfen, ob es der richtige war.
Dann warf er ihn weit hinaus in den See, drehte sich um und ging davon. Hinter ihm wurden die Ringe im Wasser immer größer, während die Waffe auf den Grund sank, an der tiefsten Stelle, wo niemand sie finden konnte.
Glaubte er.
10
Vilde hatte nicht vorgehabt hinzugehen, aber irgendwann fiel ihr zu Hause die Decke auf den Kopf. Ihre Mutter war wieder mit ihren Arbeitskollegen unterwegs, ihr Bruder hockte vor der Glotze und Charlene war pervers süß, sogar in ihrer alten Jogginghose mit Löchern auf dem Knie. Besonders in der alten Jogginghose mit Löchern am Knie!
Bald würde ihr kleiner Bruder im Bett verschwinden und dann war sie mit Charlene allein. Vilde hatte Angst, irgendwas Falsches zu sagen oder zu tun und sich irgendwie zu verraten. Nein, sie musste raus.
„Ich bin mal kurz weg“, sagte sie, zog ihre Jacke an und ver ließ das Haus. Erst nach ein paar Minuten wurde ihr bewusst, wohin sie unterwegs war – und da war es zu spät. Jedenfalls kam es ihr so vor, als gäbe es kein Zurück.
Aber in dem Moment, in dem sie die Musik hörte und das Grölen der Betrunkenen, die Rufe, das Gelächter, bereute sie es. Sie hätte gleich umkehren sollen. Wenn sie jetzt den Rückzug antrat und jemand sie sah, würden später jede Menge Fragen auf sie niederprasseln: Warum bist du nicht reingekommen? Was ist mit dir los? Und Trine würde garantiert erfahren, dass sie da gewesen war …
Vilde ging rein. Die Toilettentür im Flur stand einen Spalt offen. Jemand übergab sich lautstark, man hörte es in die Klo schüssel platschen.
Instinktiv drehte Vilde den Kopf weg. Von oben waren Schritte zu hören, Leute lachten, eine Tür wurde zugeknallt. Sie lief weiter. Je näher sie dem Wohnzimmer kam, desto voller wurde es im Flur. Leute rannten hin und her.
Eine schrille Mädchenstimme erzählte irgendwas Unver ständliches, nur das Wort Ich schnitt durch die Musik und zum Ausgleich wurde es oft wiederholt. Ich … ich … ich also! ICH!
„Mensch!“
Vilde wurde von einem Jungen mit dem Ellbogen zur Seite geschoben. Er drängelte sich an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Du interessierst mich nicht, weg da, hier komme ich.
„Scheißkerl“, flüsterte Vilde.
Sie bekam Lust, es laut zu rufen: SCHEISSKERL!!!
Stattdessen blieb sie stehen und hörte auf zu funktionieren. Die Geräusche um sie herum verschwammen zu einem Brei. Sie konnte nichts tun, als dazustehen, allein.
Sie war verloren.
Sie war auf der einsamen Insel gelandet, der in ihrem Herzen und in ihrem Kopf. Kein Hollywood-Star in Sicht. Und auch kein Happy End …
Da schrie jemand: Vilde! Sie konnte nicht sagen, wer sie ge rufen hatte, aber es half, den eigenen Namen zu hören, und sie winkte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
Sie zwang sich, Richtung Wohnzimmer weiterzugehen. Sie drängte sich zwischen drei Typen hindurch, die meinten, die Türöffnung sei ein hervorragender Ort, um grinsend über ein Mädchen zu lästern, von dem alle drei behaupteten, es mit ihr getrieben zu haben. In your dreams , dachte Vilde.
Endlich war sie an ihnen vorbei. Sie blieb stehen, um sich zu orientieren und die Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Als Erstes erkannte sie Trine.
Sie tanzte.
Trine tanzte sonst nie.
Sie hatte eine Bierflasche in der einen Hand und schwenkte die andere durch die Luft.
Sie lachte laut. Es dauerte einen Moment, bis Vilde begriff, dass Trine mit Trym tanzte.
Mit dem hübschen, süßen, netten Trym. Sie passten gut zu sammen. Diese Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Beide blond, beide mittelgroß. Sogar die Namen passten: Trym und Trine, Trine und Trym. Hörte sich an wie ein Kinderbuch über zwei Zwergenkinder.
Trine und Trym unterwegs zu neuen Abenteuern!
Trine und Trym besoffen auf der Party!
Trine und Trym und der Superorgasmus!
Trine und Trym …
Zur
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