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Dark Village - Niemand ist ohne Schuld

Dark Village - Niemand ist ohne Schuld

Titel: Dark Village - Niemand ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjetil Johnsen
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als sie langsam und allein nach Hause ging, kam ihr immer wieder das Bild von Nick auf der Treppe in den Sinn. Es hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt und weigerte sich zu verschwinden. Nicks abwesender Blick. Nick, der nicht hörte, was sie sagte. Sein leeres Lächeln. Sie beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie konnte nicht darauf warten, dass er die Initiative ergriff – das musste sie tun, bevor er ihr völlig entglitt und davontrieb.
    In der Hauseinfahrt hörte sie das Telefon. Das schaffe ich sowieso nicht , dachte sie erst. Aber dann rannte sie doch los. Sie schloss die Tür auf und stürzte zum Telefon, das im Flur lag. „Ja!“
    „Hallo“, sagte ihre Mutter. „Ich bin’s.“
    „Ah. Hi.“
    Nora ließ ihren Rucksack auf den Boden sinken und guckte in den Flurspiegel über der Kommode. Der schöne, dunkle Teint, den sie im Sommer bekommen hatte, verblasste langsam. Ihre Wangen waren eher rot als braun. Sie sah aus wie ein Kind, fand sie.
    „Bist du gerade zur Tür rein?“, fragte ihre Mutter. „Ich hab vorhin schon mal angerufen, aber da ist keiner drangegangen.“
    „Ich war noch in der Bibliothek.“
    „Ich hab’s auch auf deinem Handy versucht.“
    „Das war aus. Ich war in der Bibliothek. Bin ja gerade erst zur Tür rein.“
    „Ja, ja.“ Ihre Mutter lachte. „Kein Grund, gleich sauer zu werden, mein Schatz.“
    „Ich bin nicht sauer.“
    Und das stimmte. Nora war mit ihren Gedanken viel zu weit weg, um sich über ihre Mutter aufzuregen. Sie berührte ihre Wangen, pikte mit dem Zeigefinger hinein und sog sie nach innen.
    Wenn sie irgendwas an sich verändern könnte, wären die Wangen als Erstes dran. Nora fand sie viel zu dick, sie machten ihr Gesicht breit. Und kindlich , dachte sie wieder. Wie ein Baby auszusehen, wenn man seinem Freund die Klamotten vom Leib reißen wollte, war definitiv das Schlimmste von allem.
    Sie musste kichern.
    „Was ist?“, fragte ihre Mutter. „Hast du Besuch?“
    „Nee.“
    Vielleicht bin ich manisch-depressiv , dachte Nora. Eben noch am Boden zerstört, weil er mich nicht will, und im nächsten Moment gackere ich albern rum wie ein dummes Huhn .
    „Ich dachte, ich hätte was gehört …“
    „Mama. Was ist? Warum rufst du an?“
    „Na ja“, sagte ihre Mutter. „Ich wollte eigentlich nur Bescheid geben, dass ich ein bisschen später komme. Dein Bruder ist sicher auch erst in einer Stunde da.“
    „In Ordnung.“
    Ihr Bruder besuchte das Sportgymnasium und hatte nach der Schule oft noch Training.
    „Machst du dir dann selbst was zu essen?“, sagte ihre Mutter.
    „Ja, klar.“
    „Im Tiefkühlschrank ist noch Pizza.“
    „Ja, ich weiß.“
    „Dann machst du dir also eine Pizza?“
    „Mal sehen“, sagte Nora.
    „Wenn du Pizza willst – wir haben auch noch etwas Käse, den du dir drauf machen kannst. Und Wurst ist auch da, glaube ich.“
    „Mama. Ich komme schon zurecht.“
    „Es wäre gut, wenn die Reste endlich mal aufgebraucht würden“, fuhr ihre Mutter fort.
    „Ich mag keine Wurst auf Pizza.“
    „Nicht? Seit wann das denn?“
    „Schon mein ganzes Leben. Das weißt du doch. Ich hab das hunderttausend Mal gesagt. Ich mag keine Wurststücke auf meiner Pizza. Die werden so …. matschig.“
    „Du kannst ja nur die eine Hälfte der Pizza damit belegen.“ Ihre Mutter ließ einfach nicht locker. „Du isst sie doch sowieso nicht ganz. Dann kann Peer den Rest haben, wenn er nach Hause kommt, oder ich.“
    Nora nahm das Telefon mit in die Küche. Pizza , dachte sie. Dieses ganze Geschwätz nur wegen einer Pizza .
    „Hallo? Nora, bist du noch dran?“
    „Ja.“ Und dann behaupten die anderen, ich würde aus allem ein Problem machen . „Mama“, sagte sie, „ich hab ehrlich gesagt gar keine Lust auf Pizza.“
    „Aber …“, begann ihre Mutter.
    Und so jemand ist bei der Polizei , dachte Nora und sagte laut: „Ich mach mir erst mal was anderes. Wir können ja später alle zusammen was essen, falls ich dann noch Hunger hab. Tschüss.“
    Sie drückte auf den roten Knopf und legte das Telefon auf die Anrichte. Momentan war ihre Mutter schlimmer als sonst. Im Normalfall war sie ganz entspannt, kein Kontrollfreak, wie so viele andere Eltern. Aber nach dem Mord hatte sie sich verändert. Plötzlich lauerten überall Gefahren und jedes noch so kleine Detail musste überprüft werden.
    Nora seufzte. Es war ja verständlich. Aber irgendwie dachte ihre Mutter plötzlich offenbar, dass sie bislang keine gute Mutter gewesen wäre,

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