Dark Village - Niemand ist ohne Schuld
rechtzeitig!“
„Mmm.“
Benedicte wandte den Blick ab. So ein Geturtel konnte sie gerade überhaupt nicht gebrauchen. Erst recht nicht von den beiden. Sie beeilte sich, vor ihnen das Gebäude zu betreten. Nick und Nora blieben auf der Treppe stehen. Wahrscheinlich wollten sie noch knutschen. Benedicte war genervt. Dieses ganze Ach-wie-ist-das-schön-Getue regte sie total auf …
Konnten die sich nicht ein bisschen zusammenreißen? Nach allem, was passiert war …
Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass sie neben Vilde herging. Und so wie es aussah, war Vilde auch nicht gerade bester Laune.
Jedenfalls sagte sie nichts. Benedicte fiel auf, dass sie plötzlich langärmelige Klamotten trug, so einen schlabberigen Collegepulli. Dabei zeigte sie doch sonst so gerne ihre Muskeln. Das war ihr immer superwichtig gewesen.
Gerade wollte Benedicte fragen, warum sie in diesem hässlichen Pulli rumlief – und das schon seit Tagen –, aber Vildes Gesicht wirkte so verschlossen, dass sie den Mund hielt.
Ist ja auch egal, dachte Benedicte. Geht mich nichts an. Ich habe Wichtigeres im Kopf.
In den vergangenen drei Tagen hatten die Freundinnen nicht viel über Wolff gesprochen. Es gab irgendwie nichts zu sagen. Die Einzige, die das Thema ab und zu anschnitt, war Benedicte, weil sie das Gefühl nicht loswurde, dass an der Sache etwas faul war, dass irgendwas nicht zusammenpasste.
Seit Wolffs Festnahme war sie immer unruhiger und empfindlicher geworden. Es hatte sich überhaupt keine Erleichterung eingestellt.
Im Augenblick befanden sie sich in einer Art Vakuum – alle anderen waren davon überzeugt, dass der Mörder gefasst war, aber offiziell hatte die Polizei es nicht bestätigt. Sie hatte die Information auch noch nicht an die Presse gegeben, und Benedicte, Nora und Vilde hatten das Gefühl, dass sie sich erst richtig freuen konnten, wenn die Polizei Entwarnung gab.
Und wie sollte man sich im Zusammenhang mit Trines Tod überhaupt richtig freuen?
Nein, dachte Benedicte. Es gab wirklich überhaupt keinen Grund zur Freude. Sie konnten sich nicht in die Arme fallen und rufen: Yes, endlich ist es überstanden. Endlich ist es vorbei! Das war schlicht und einfach unmöglich.
Es gab keine andere Möglichkeit, als alles so zu machen wie immer und zu hoffen, dass sie irgendwann eine Art Normalzustand erreichten. Um das alte Gefühl wiederzufinden, das sie ja schon vor Trines Tod verloren hatten, half es vielleicht, wenn sie wieder gemeinsam zur Schule oder shoppen gingen und sich über Gott und die Welt unterhielten. Vielleicht würde die alte, ganz selbstverständliche Freundschaft, die ohne Worte funktioniert hatte, dann wieder aufleben – mit all ihrer Kraft und Sicherheit. Jede der drei vermisste sie – darum waren Benedicte, Vilde und Nora in der großen Pause zusammen losgezogen. Nick hatte sie ein Stück begleitet, weil er noch in einen Secondhandladen wollte.
Benedicte hatte nichts dazu gesagt. Nicht, dass sie besonders freundlich war oder mit ihm redete, aber es war kein Weltuntergang, dass er dabei war. Nick spielte nämlich schon längst keine Rolle mehr.
Die anderen wären sicher überrascht, wenn sie wüssten, wie egal er ihr war. Er war eben ein Typ, den sie nicht rumgekriegt hatte – so what?
Der Schulhof wimmelte von Jungs, die ihr zu Füßen lagen. Sie brauchte sie nur anzuschauen, dann kamen die Idioten schon mit hängender Zunge angerannt.
Nein. Benedicte dachte nicht mehr an Nick. Das Geturtel zwischen ihm und Nora ging ihr auf die Nerven, aber das war auch schon alles und hatte nichts mit dem Hass zu tun, den sie für ihn empfunden hatte. Den hatte sie längst verdrängt und vergessen.
Etwas anderes beschäftigte sie viel mehr: Es war das Gefühl, dass an dieser Sache mit Wolff und Trine etwas faul war.
Nach dem heftigen Erlebnis mit Wolff hatte sie es erst für einen verspäteten Schock gehalten. Wie er auf ihr gelegen und damit gedroht hatte, sie zu vergewaltigen! Aber es war etwas anderes. Denn wenn sie an die Situation zurückdachte, spürte sie nichts als bittere Genugtuung: Jetzt bist du dran, du Arsch.
Eine stechende und bohrende Unruhe quälte sie, das widerliche Gefühl, dass es noch etwas gab, das im Zusammenhang mit Wolff wichtig war – und dass sie es eigentlich erkennen müsste. Sie hatte etwas vergessen. Irgendwann und irgendwo hatte sie was gehört oder gesehen, das ganz entscheidend war für den Mord an Trine.
Sie war sich vollkommen sicher, dass es irgendwo in ihrem Kopf
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