DARKNET
Leute hier? Mittendrin herumzulaufen wie ein normaler Mensch? Erinnert Sie das an die guten alten Zeiten?»
Sebeck drehte den Kopf. «Und wenn? Vielleicht tut es ja wirklich gut zu sehen, wie normal die Welt ist. Dass es immer noch Leute gibt, die einfach nur shoppen wollen.»
«Yeah.» Price biss wieder von seinem Churro ab und sprach mit vollem Mund weiter. «Nur schade, dass das alles hier in zehn Jahren wahrscheinlich ein leeres Gehäuse sein wird.»
Sebeck sah ihn stirnrunzelnd an. «Wie kommen Sie darauf?»
«Sie haben doch gehört, was Sobol sagt. Die moderne Gesellschaft rast auf den Abgrund zu, und diese guten Leutchen hier treten aufs Gas.»
«Essen Sie lieber noch einen Churro.»
«Ich sag’s ja nur. Sie fahren echt auf das alles hier ab?» Er zeigte auf die Großbildschirme mit Klamottenwerbung, in der Models durch Regenbogen flogen.
«Was ich davon halte, ist egal. Das alles hier existiert, weil die Leute es
wollen
. Was gibt Sobol das Recht, für sie zu entscheiden?»
Price zuckte die Achseln. «Na ja, was entscheiden die Leute denn heute schon groß? Sie wählen doch nur unter vorgegebenen Möglichkeiten.» Er stopfte sich den letzten Rest Churro in den Mund und kaute grimmig. «Die Darknet-Mitglieder haben eine eigene Bezeichnung für die Leute da draußen. Sie nennen sie NSCs, ‹Nicht-Spieler-Charaktere› – gescriptete Bots mit begrenztem Aktionsrepertoire.»
«Das ist unverschämt.»
«Ach ja? Diese Leute haben doch nur eine begrenzte Entscheidungskapazität.»
«Und
wir
sind nicht Sobols Marionetten?»
«Okay, ich glaube, ich weiß, was Sache ist.» Er knüllte das Churro-Papier zusammen und warf es ins Maul eines roboterförmigen Mülleimers. «Sie sind der Meinung, dass diese Leute hier frei sind und dass der Daemon ihnen diese Freiheit nehmen will.»
Sebeck legte einen Schritt zu. «Schluss jetzt, Laney. Lassen Sie mich einfach in Ruhe herumlaufen, wo ich will.»
Price blieb an ihm dran. «Das, wo Sie gerade herumlaufen, Sir, ist eine private Einkaufsstraße – deren Betreten Ihnen jederzeit verwehrt werden kann. Lesen Sie die Tafel im Boden gleich am Eingang, wenn Sie mir nicht glauben. Diese Leute sind Bürger eines Gemeinwesens, das es nicht gibt, Sergeant. Amerika ist auch nur eine Marke, die wegen ihres ideellen Werts gekauft wird. Wegen dieses tollen Scheißlogos.»
«Yeah, klar, es ist alles eine einzige große Verschwörung …»
«Da braucht es gar keine Verschwörung. Es ist ein Prozess, der seit Jahrtausenden läuft. Reichtum akkumuliert sich und wird zu politischer Macht. So einfach ist das. ‹Konzern› ist nur das jüngste Wort dafür. Im Mittelalter war es die Kirche. Die hatte auch ein tolles Logo, haben Sie vielleicht schon mal gesehen. Und sie hatte mehr Filialen als Starbucks. Und davor war es das Römische Reich. Es ist ein natürlicher Prozess, der so alt ist wie die Menschheit.»
Sebeck starrte ihn nur wortlos an.
«Hey, ist doch nichts dabei, wenn Leute zugeben, dass sie nicht sich selbst gehören. Das ist der erste Schritt zur Befreiung. Sie müssen es sich nur eingestehen.»
«Sie sind ja irre.»
«Stimmt. Ich bin verrückt. Aber stellen Sie sich mal mit einem Protestschild hierher, dann werden Sie merken, wie schnell Ihnen die Security eins mit dem Taser auf den Arsch brennt. Wollen Sie sehen, wie die Welt wirklich ist, Sergeant? Vergessen Sie mal für einen Moment Ihre kulturelle Indoktrinierung.»
Price machte jetzt Armbewegungen, als vollführte er ein magisches Ritual. Sebeck wusste, was das hieß: Price manipulierte Objekte in einem Layer des D-Raums. Einem Layer, das auf Sebecks HUD -Brille noch nicht sichtbar war. Price holte weitere unsichtbare Objekte heran. Dann wandte er sich Sebeck zu. «
Das
ist die reale Welt, Sergeant. Die, nach der Sie sich so zurücksehnen.»
Plötzlich erschien ein neues D-Raum-Layer über der realen Welt: Tausende von Callouts, leuchtende Zahlen, die über den Köpfen der Mall-Besucher schwebten. Dollarbeträge, die positiven in Grün, die negativen in Rot. Die meisten Zahlen über den Köpfen der Leute waren rot. «– $ 23 393» stand über dem Kopf einer Frau von Mitte zwanzig, die in ein Handy sprach, «– $ 839 991» über einem gediegen gekleideten Mann in den Vierzigern, «– $ 17 189» über seiner Teenager-Tochter und so fort. Zahlen über Zahlen.
Price hob theatralisch die Arme. «Das Reinvermögen
jedes
Einzelnen. Echtzeitdaten.» Er runzelte die Stirn. «Ganz schön viel Rot da
Weitere Kostenlose Bücher