DARKNET
draußen, aber, na ja, das ist Amerika.»
Sebeck starrte auf die Flut von Zahlen um sich herum. Nicht jeder hatte eine Zahl über dem Kopf, aber die große Mehrheit. Ein junges Akademiker-Ehepaar mit Baby, beide Eltern mit Minusbeträgen in den vierzigtausend. Eine ärmlich gekleidete Frau von Mitte sechzig saß auf einer Bank beim Springbrunnen, über dem Kopf in leuchtendem Grün «$ 893 393». Sebeck studierte die Zahlen der Passanten. Es ließ sich nicht vorhersagen, wer Geld hatte und wer nicht. Besonders erfolgreich aussehende Leute waren teilweise am schlimmsten dran.
«Okay, Price. Das ist ja alles sehr interessant, aber ich sehe nicht, was es beweisen sollte. Der Daemon ermöglicht es Ihnen, den Kontostand dieser Leute einzusehen. Na und?»
«Falsch, Sergeant, es ist nicht der Daemon, der mir das ermöglicht.»
Sebeck sah ihn misstrauisch an. «Diese Zahlen erscheinen im D-Raum. Es muss doch das Darknet sein.»
Price schüttelte den Kopf. «Ich beziehe die Daten aus kommerziellen Netzwerken und projiziere sie in den D-Raum. Fragen Sie sich doch mal, wie ich den Kontostand dieser Leute herausbekommen sollte, ohne zu wissen, wie sie heißen. Vergessen Sie nicht: Es sind alles keine Darknet-Mitglieder.»
Sebeck dachte kurz nach. Er trat an die Galeriebrüstung und blickte auf den Strom von Zahlen hinab. «Sie wollen behaupten, dass Sie die Daten offen mit sich herumtragen?»
«Ganz genau. Was sagen Sie dazu?»
«Wie machen Sie das, Price? Jetzt mal im Ernst. Das ist doch nur gefaked, oder wollen Sie mir erzählen, dass jemand jedem da unten einen Ortungschip implantiert hat?»
«Niemand hat irgendwem irgendwas implantiert. Diese Leute bezahlen für ihre Ortungschips.» Price zeigte auf einen Handy-Laden in der Nähe, der mit Plakaten von schicken jungen Handybenutzern gepflastert war. «Handys werden ständig geortet und die Ortungsdaten in einer Datenbank gespeichert. Auch Bluetooth-Geräte haben eine individuelle Kennung. Telefon-Headsets, PDAs, Musik-Player. So ziemlich jedes elektronische Spielzeug, das man sich kaufen kann. Und inzwischen gibt es auch RFID -Tags in Führerscheinen, Pässen und Kreditkarten. Sie reagieren auf Funkenergie mit der Aussendung einer individuellen Kennung, aus der man die Identität der betreffenden Person erschließen kann. Privat betriebene Sensoren an Orten, wo sich viele Menschen aufhalten, sammeln diese Daten ein, und zwar in aller Welt. Mit dem Daemon hat das nichts zu tun.»
Price drehte sich wieder zur Mall, malte mit den Händen Kreise in sein D-Raum-Layer – und markierte so wandmontierte Sensoren an Kreuzungspunkten der Besucherströme. «Datenspeicherung kostet heutzutage fast nichts mehr, also zeichnen Datenbroker so gut wie alles auf, in der Hoffnung, dass es irgendwann für irgendwen von Wert sein wird. Die Daten werden von Dritten gesammelt, mit individuellen Identitäten verknüpft und verkauft wie andere Verbraucherdaten auch. Es ist keine Verschwörung. Es ist ein regulärer Wirtschaftszweig, aber einer, von dem die Leute da unten nichts wissen. Sie werden gechipt wie Schafe und haben dabei auch ungefähr so viel Mitspracherecht.»
Sebeck starrte auf den Strudel von Daten um sich herum.
«Wie sehen wir für einen Computeralgorithmus aus, Sergeant? Computeralgorithmen werden nämlich Entscheidungen fällen, die für diese Leute lebensbestimmend sind, und sie werden es auf Grundlage dieser Daten tun. Wie wär’s zum Beispiel mit der Kreditwürdigkeit – beurteilt von einem eigenmächtigen Algorithmus, den niemand hinterfragen kann?»
Plötzlich erschienen über all den Köpfen Kredit-Scores, farbkodiert von Grün bis Rot je nach Bonitätsgrad.
«Oder mit der Krankengeschichte?»
Listen von Medikamentenverordnungen und Vorerkrankungen erschienen über den Köpfen.
«Oder mit etwas ganz Zentralem: zwischenmenschliche Beziehungen. Benutzen wir doch mal Telefonverbindungsdaten, um die Personen zu identifizieren, die ihnen am wichtigsten sind …»
Plötzlich erschienen über den Köpfen die Namen der Betreffenden mit einem Diagramm ihrer häufigsten Kontakte – komplett mit Telefonnummern.
«Oder mit ihren Kaufgewohnheiten …»
Listen der jüngsten Kreditkartenkäufe leuchteten unter den Namen der Leute auf.
«Diese Daten verschwinden nie, Sergeant.
Nie
mehr. Und irgendwann werden sie womöglich verkauft, weiß der Himmel an wen – oder was.»
Price beugte sich näher an sein Ohr. «Stellen Sie sich doch mal vor, wie leicht man
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