DARKNET
ist dieses Ereignis, Sergeant.»
Sebeck wandte sich dem glimmenden Phantom zu. Der Avatar war durchscheinend wie alle D-Raum-Objekte.
Price gab Sebeck einen leichten Schubs. «Nicht so zaghaft, Mann. Los, quatschen Sie ihn an.»
Sebeck nahm sich noch einen Moment Zeit, um sich zu sammeln, und trat dann in das sandige Rund des nach oben offenen Raums. Er hatte fast etwas von einer Arena, aber in der Mitte befand sich eine Feuergrube. Als Sebeck näher kam, gab die glimmende D-Raum-Aura eine melodische Tonfolge von sich und verschwand – und mit ihr der Thread, dem Sebeck gefolgt war.
Die Erscheinung nickte grüßend, und über Sebecks Headset sagte Sobols Stimme: «Detective Sebeck, ich bin froh, dass Sie sich entschlossen haben, sich auf diese Quest zu begeben. Sie wird lang und schwer sein.»
Sebeck seufzte. «Das hätte ich mir fast denken können …»
Sobols Erscheinung deutete auf die Mauern ringsum, die mehrere Stockwerke hoch in den Himmel ragten – von perfekten Fenster- und Türrechtecken durchbrochen. «Sehen Sie sich diese Präzision an. Man könnte es für moderne Architektur halten.» Er wandte sich wieder Sebeck zu. «Dabei wurde dieser Pueblo vor beinahe tausend Jahren erbaut. Auf dem Höhepunkt der Anasazi-Kultur.»
Auf eine Handbewegung des Hologramms wuchsen plötzlich glühende D-Raum-Linien aus dem Stein, überbrückten Lücken und ergänzten die Ruinen um durchscheinende 3D-Mauern und -Dächer. Vor ihren Augen erstand das riesige Bauwerk wieder. Keramikgefäße, persönliche Habseligkeiten und sonstige Gegenstände erschienen wie auf einer Levelmap für ein Videospiel.
Avatare von Anasazi-Indianern kamen mit Körben zur Tür herein. Andere bewegten sich durch die Räume, gingen ihren täglichen Verrichtungen nach und unterhielten sich in ihrer Muttersprache. Kinder rannten lachend an Sebeck vorbei. Er hörte Wasser plätschern und Stimmen singen. Um sie herum war die Anasazi-Kultur wieder lebendig geworden.
Hinter ihm pfiff Price durch die Zähne. «Heiliger Strohsack …»
Sobols Avatar schien das Ganze mit Wohlgefallen zu betrachten.
«Diese Anlage umfasste sechshundert Räume und war sechs Stockwerke hoch. Es war das höchste Bauwerk in Nordamerika bis zu den ersten Stahlträger-Konstruktionen Chicagos in den 1880er Jahren. Die Anasazi legten hier ein Netz von fünfundzwanzig Meter breiten Bewässerungskanälen an. Sie bauten vierhundert Meilen schnurgerader Straßen, die ihre Hauptstadt mit fünfundsiebzig Außensiedlungen verbanden. Ihre Kultur blühte hier jahrhundertelang.»
Sobol trat nah an Sebeck heran und lehnte sich auf seinen Spazierstock. «Warum ist sie untergegangen, Sergeant? Noch dazu so plötzlich, auf ihrem Höhepunkt?»
Sebeck blickte auf die Prozession durchscheinender Avatare von Anasazi-Priestern, die jetzt unter Sprechgesängen durch die Tür einzogen. Wie Geister, die nach langer Zeit heimkehrten.
Sobol machte ihnen Platz. Die Priester nahmen ihn und Sebeck gar nicht zur Kenntnis. Sie setzten ihre Sprechgesänge fort, während in der zentralen Feuergrube geisterhafte Flammen loderten. Unter den Schatten im Raum war keiner von Sebeck oder Sobol.
Sobol beobachtete die Priester aufmerksam. «Das Schicksal der Anasazi hält wichtige Lektionen für den Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts bereit – weil auch wir nicht von den Gesetzen der Natur ausgenommen sind. Wenn die Überlebensstrategie einer Zivilisation dysfunktional wird, dann wird diese ihr Schicksal nicht mehr wenden können. Keiner Zivilisation in der Geschichte der Menschheit ist das je gelungen. Mit umwälzenden Veränderungen konfrontiert, gehen sie ausnahmslos unter.»
Sobol hob die Arme, und auf eine neuerliche Handbewegung von ihm verschwand die gesamte D-Raum-Szenerie. Was blieb, waren nur die realen Ruinen. Und Stille.
Sobol trat an eine halbzerfallene Fensteröffnung und blickte hinaus auf die mondbeschienene Landschaft. «Aber die Zivilisation der Anasazi umfasste nur dieses kleine Gebiet. Unsere industrielle Zivilisation hingegen umfasst die ganze Erde. Und wenn sie ins Wanken gerät, haben die daraus resultierenden Konflikte das Potenzial, die gesamte Menschheit auszurotten.»
Sobol deutete dahin, wo eben noch die Anasazi-Priester gestanden hatten. «Sie haben einen simplen Fehler gemacht. Denselben, den auch wir machen. Sie haben ihre Gesellschaft auf die Ausbeutung von Ressourcen gegründet und dadurch ihre Bevölkerung über die Ertragskapazität des Landes hinaus
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