DARKNET

lachende asiatische und westliche Gesichter in der Martini-Bar.
    «Doctor, sehen Sie ihn?»
    Sie konnte es nicht. «Ich …»
    Ein Kontrollbord-Operator rief: «Die Chinesen starten den Zugriff, Sir.»
    «Es ist zu spät.»
    Dutzende von Zivilpolizisten stürmten, Waffen schwenkend, durch die Eingangstür der Martini-Bar und lösten drinnen Chaos aus. Die Kamera ruckte, zoomte dann etwas zurück.
    «Yeah, sie sind reingegangen.»
    Einer der Anzugträger nahe der Wand sagte laut: «Wir können immer noch zum Schuss kommen, wenn sie ihn rausbringen.»
    Fulbright sah Philips von der Seite an. Sie blickte auf den Schirm. Erstarrt.
    «Wenn er uns entwischt, müssen wir verfolgen, in welches Gefängnis sie ihn bringen.»
    Philips war mit dieser Art Logik nur zu vertraut – «grausame Arithmetik» hatte Fulbright sie genannt. Zum ersten Mal im Leben ekelte Logik sie an.
    «Wir setzen einen Privatagenten darauf an, die Sache zu erledigen.»
    «Wir müssen dafür sorgen, dass wir während des Transports die Spur nicht verlieren –»
    Wieder rief jemand vom Kontrollbord aus: «Irgendwas ist dort drinnen los, Sir.»
    Alle blickten auf den Schirm und sahen Zivilpolizisten wieder auf die Straße herausströmen. Sie wirkten hektisch. Manche sprachen in Funkgeräte.
    «Anscheinend haben sie ihn noch nicht.»
    «Nur die Hälfte ist wieder rausgekommen.»
    «Vielleicht gab es eine Schießerei?»
    «Haben wir die Bestätigung, dass Ross tatsächlich dort drin war?»
    «Ja, Sir. Zwei Informanten haben es bestätigt.»
    Die Kamera zeigte ein Dutzend Männer hektisch von rechts und links der Martini-Bar ins Bild laufen.
    Zwei weitere schwarze Vans hielten, und aus jedem ergoss sich ein taktisches Einsatzteam mit schwarzen Schutzwesten, Helmen und ballistischen Schutzbrillen. Sie schwenkten automatische Waffen, schwärmten in die Straßen aus und brüllten die Leute an, sich auf den Boden zu legen. Die ganze Shopping-Zone wurde abgeriegelt.
    «Herrgott, sie haben den Kerl nicht erwischt.»
    «Offensichtlich. Und jetzt geht die Suche nach der Nadel im Heuhaufen los.»
    «Sie haben in dieser Stadt ein Netz von zwei Millionen Überwachungskameras. Glauben Sie mir, sie werden ihn finden.»
    «Yeah, aber unser Mann wird nicht vor Ort sein, um ihn auszuschalten.»
    Fulbright wandte sich an Philips. «Danke, dass Sie hergekommen sind, Natalie. Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn wir Sie wieder brauchen.»
    Sie starrte immer noch auf den Schirm. «Ja, Sir.»
    Auf dem Bildschirm sprachen die chinesischen Soldaten immer noch hektisch in Funkgeräte.
    Philips verließ den Konferenzraum und Ops-Center 1. Sie ging den belebten Flur entlang, schlüpfte in die Damentoilette und öffnete die Türen der Kabinen, um festzustellen, ob da noch jemand war.
    Sie war allein.
    Sie ging in die Kabine ganz am Ende und verriegelte die Tür. Sie setzte sich hin und legte den Kopf in die immer noch zitternden Hände. Als sie die Tränen lautlos über ihr Gesicht strömen fühlte, wurde ihr klar, wie ernsthaft sie sich in Jon Ross verliebt hatte.

16 Gepwnt
     
    Einige Stunden später betrat Shen das Gebäude im Zentrum von Shenzhen, wo das Zentralkommando des Projekts Goldener Schild residierte. Der sechsstöckige fensterlose Betonblock war von außen weder durch Wachposten noch durch Schilder als militärische Einrichtung erkennbar, doch sobald Shen die verspiegelte Gleittür in der Tiefgarage passierte, waren da Metalldetektoren, flankiert von einem Dutzend schwerbewaffneter VBA -Soldaten. Sicherheitsoffiziere in Ausgehuniform winkten ihn durch die Scanner.
    Was in diesem Gebäude geschah, war für die Partei sehr wichtig. Das Projekt Goldener Schild war Chinas gigantisches Programm zur Entwicklung von Informationssystemen zur Identifizierung und Isolierung unerwünschter Inhalte und subversiver Elemente, die eine Bedrohung für die Führung des Landes darstellten – und damit für das chinesische Volk. Das Zentralkommando-Gebäude war die Materialisierung langjähriger Milliardeninvestitionen in die innere Sicherheit – und doch nur ein Pilotprojekt für die weit umfassendere «Initiative sichere Städte», die sämtliche Datenflüsse innerhalb der chinesischen Gesellschaft miteinander verlinken würde: die Verknüpfung von Finanz- und Kommunikationsdaten und den Aufzeichnungen hochauflösender Straßenüberwachungskameras zu einer einzigen, softwaregesteuerten Innere-Sicherheit-Lösung. Noch nie in der Geschichte der Menschheit war so etwas auch nur versucht