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DARKNET

DARKNET

Titel: DARKNET Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Suarez
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die Kontrolle über reale Hard- und Software erlangen konnte? Wohl kaum. «Vergiss es.»
    Boerner reagierte einen Moment lang gar nicht, dann grinste er, die Zigarettenspitze noch immer zwischen die Zähne geklemmt. «Sie sind ganz allein auf der Welt, mein Freund. Ihre mechanischen Diener – nur tumbe Bestien. Sie sind zerstörbar. Ich nicht. Ich werde immer für Sie da sein. Um Sie zu beschützen. Um über Sie zu wachen.»
    «Quatsch. Wie oft hast du mich hinterrücks erschossen!»
    «Loki – ich darf Sie doch Loki nennen?»
    Loki begriff, dass die KI nur seine Antworten auf Schlüsselwörter scannte, also gab er es auf, in ganzen Sätzen zu sprechen, und setzte stattdessen auf Einfachheit. «Warum ich?»
    «Weil mich nur jemand mit Ihrer Macht freilassen kann.»
    Loki war klar, dass es einen mächtigen Torzauber brauchen würde, um Boerner in den D-Raum zu holen. Er hatte sich damit befasst und den Zauber in seiner Liste gespeichert. Er fragte sich, warum. War das auch wieder Sobols Manipulationskunst?
    Loki betrachtete die subtilen, gescripteten Bewegungen des digitalen Nazis: wie er leicht auf den Fußballen wippte, an seiner Zigarette zog und digitalen Rauch ausblies. Doch er wusste, das KI -Konstrukt dahinter brauchte eigentlich überhaupt keinen Körper. Die physische Gestalt war nur ein psychologischer Hack – dazu da, an menschliche Grundinstinkte zu appellieren.
    «Wir wissen doch beide, dass Sie niemand anderen haben, der auf Sie aufpasst. Und Ihre Welt ist ein gefährlicher Ort.»
    Boerners Gesichtsausdruck wirkte tatsächlich aufrichtig – aber er war ja nur ein 3D-Modell mit einer vorgegebenen Reihe von Aktionsmöglichkeiten, mehr nicht. Aber andererseits – was waren denn Menschen? Immerhin könnte er ja Boerners Quellcode inspizieren, wenn er ihn in den D-Raum holte. Könnte er doch, oder? Wäre das nicht so, wie in die Seele eines Menschen zu blicken? In der realen Welt etwas Unmögliches.
    Boerner setzte nach: «Wer außer Ihnen könnte so skrupellos sein, mein Freund?»
    Darauf hatte Loki keine Antwort.
    Der Boerner-Avatar nahm die Zigarettenspitze aus dem Mund. Er nahm auch die Offiziersmütze ab – und entblößte erstmals eine Glatze. Soweit Loki wusste, hatte noch nie jemand Boerner ohne die Mütze gesehen. Und dann streckte Boerner den Arm durch das Fallgitter in die Welt des D-Raums – so nah an Loki heran, dass Loki schon dachte, seine Haptik-Weste würde die geisterhafte Berührung reproduzieren.
    Aber noch schockierender war, dass in dem Moment, als Boerners Arm in den D-Raum eintrat, die Polygonzahl des 3D-Modells um etliche Stufen zunahm. Boerners Arm wurde vom Körperteil eines Online-Spiel-Charakters zu dem eines Menschen. Der Arm, der da von jenseits der Realität nach Loki langte, war der Arm eines realen SS -Offiziers, plastisch und detailliert bis hin zu den Poren des Lederhandschuhs und der Textur des Mantelärmels.
    «Holen Sie mich hier heraus. Welchem Menschen vertrauen Sie denn? Welcher Mensch vertraut Ihnen? Die haben Sie doch benutzt. Ohne Sie gäbe es kein Darknet. Der Daemon wäre gescheitert. Die verstehen uns nicht. Verstehen nicht, dass sie uns brauchen.»
    Loki sah jetzt etwas Wahnsinniges in diesen Bitmap-Augen.
    Plötzlich presste Boerner das Gesicht zwischen die Gitterstangen, und es vollzog dieselbe erschreckende Metamorphose – zum Gesicht eines realen Menschen, der zähnebleckenden Grimasse des Bösen. «Die Menschheit
braucht
das Böse, Loki! Ohne das Böse gibt es das Gute nicht.»
    Loki starrte entsetzt in das Gesicht und wich einen Schritt zurück. Sofort richtete Boerner sich auf und wurde wieder Teil der Welt von
Over the Rhine
. Doch Loki sah das Bild immer noch vor sich.
    Und er fragte sich, ob er da in einen Spiegel blickte. Er hatte einen Rufwert von einem halben Stern auf einer Basis von etlichen tausend Bewertungen. Die Darknet-Fraktionen, die immer mehr und immer größer wurden, hatten für ihn keine Verwendung – anscheinend akzeptierte der Daemon keine Soziopathen mehr. In der Entstehungszeit von Sobols Netzwerk war Loki nützlich gewesen. Jetzt war er allein mit seinem Rudel von Softwarebots und Maschinen.
    Aber auch darin hatte Sobol an ihn gedacht, oder? Typisch Sobol, das antizipiert zu haben. In seiner Machtposition so isoliert wie eh und je, traute Loki Menschen nicht und wollte nichts mit ihnen zu tun haben. War das hier ein Korrektiv? Etwas, das ihn zügeln sollte? Ihn trösten?
    «Was ist, wenn ich ja sage?»
    Boerner

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