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DARKNET

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Titel: DARKNET Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Suarez
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China hatte sie sich die ganze Zeit gewünscht, sein Gesicht wiederzusehen. Um zu wissen, dass er am Leben war.
    Sie inspizierte die Postkarte genauer. Sobols Firma, Cyberstorm, hatte schon vor Jahren Konkurs gemacht, aber das Multiplayer-Game, das er entwickelt hatte, war an die Tochterfirma eines riesigen Medienkonzerns übergegangen. Sie drehte die Karte um und fand einen Einlog-Code, um die Testversion des Spiels zu starten. Und ganz unten stand kleingedruckt eine Postadresse von Cyberstorm-Entertainment – hier in Columbia, Maryland.
    Euphorie überkam sie. Aber – er war doch immer noch in China. Er konnte doch nicht hier sein. Oder?
    Philips ließ die Karte in den Mülleimer fallen, da sie sich bereits alles Nötige eingeprägt hatte. Dazu bedurfte es bei ihr nur eines Blicks. Sie warf rasch noch einen Supermarkt-Flyer hinterher und nahm dann den Fuß vom Pedal, um den Deckel wieder zu schließen.
     
    Es war ein gesichtsloser, zweistöckiger Beton-Büroblock, auf drei Seiten von Wald umgeben. Auf der Rückseite war ein kleiner Parkplatz, auf dem jedoch kaum Autos standen.
    Philips sah sich um, aber soweit sie feststellen konnte, beobachtete sie niemand. Durch die nicht verschlossene Vordertür betrat sie den Eingangsflur. Laut der Adresse auf der Werbepostkarte befand sich Cyberstorm in Suite G, aber auf dem Hauswegweiser gab es keine Suite G. Da waren nur Logistikplanungs- und Wirtschaftsprüfungsfirmen – nichts mit Computerspielen.
    Sie ging ins Obergeschoss hinauf und den muffig riechenden Flur entlang, ohne jemandem zu begegnen. Schließlich stand sie vor einer Furniertür mit der Aufschrift SUITE G. R echts daneben an der Wand war ein Ziffern-Tastenfeld. Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass ihr niemand gefolgt war, tippte sie den Code von der Postkarte ein.
    Die Tür entriegelte sich automatisch. Sie drückte die Klinke und trat ein.
    Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sah sie sich in der offenbar leerstehenden Bürosuite um. Da war ein Empfangsbereich, aber keinerlei Mobiliar außer einem Klapptisch in der Mitte des Dreihundert-Quadratmeter-Hauptraums. Darauf standen ein Computer und ein Zwanzig-Zoll-Flachbildschirm, der bereits eingeschaltet war. Er zeigte den Login-Screen für Matthew Sobols berüchtigtes Online-Spiel
The Gate
. Ein Schreibtischstuhl erwartete sie, und ein Computer-Headset lag bereit.
    Philips lächelte.
Typisch Ross …
    Sie setzte sich auf den Stuhl. Es war schon eine ganze Weile her, dass sie sich bei
The Gate
eingeloggt hatte, aber sie wusste noch, wie man durch die Benutzerschnittstelle navigierte. Sie setzte das Headset auf und gab den «Testabo»-Code ein.
    Auf dem Bildschirm erschien ein «Bitte warten»-Popup, während das Spiel geladen wurde. Es war ein leistungsstarker Computer, denn gleich darauf entfaltete sich vor ihr ein atemberaubendes virtuelles Panorama in seiner ganzen 3D-Pracht.
    Aus der Ego-Perspektive blickte ihr Avatar von einer Terrasse in eine riesige Höhle hinaus. Sie war wohl mindestens fünfhundert Meter hoch und erstreckte sich über Meilen nach beiden Seiten. Die Höhlenwände überzog ein lumineszierendes Material, das die Luft mit einem sanften Lichtschein erfüllte. Vor ihr, auf dem Grund der Höhle, lag eine glitzernde Stadt, die ein Fluss in zwei Hälften teilte. Vom Dach der Höhle stürzten mehrere schleierartige Wasserfälle herab. Die meisten verschwanden in einer Sprühnebelwolke über dem Wald, der die Stadt umgab, andere ergossen sich in Stufen über die Höhlenwände selbst. Das Rauschen des Wassers war ein sanfter akustischer Hintergrund. Als sie zur anderen Seite der gewaltigen Höhle hinüberblickte, sah sie dort Villen, die wie Balkone in der Höhlenwand saßen. Sie hörte auch Musik und Lachen aus der Ferne, und andere Spieler-Avatare bewegten sich umher, Callouts über den Köpfen.
    Es war wunderschön. Eine ganze Weile betrachtete sie es einfach nur.
    Dann hörte sie über ihr Headset jemanden sagen:
«Ich bitte um Verzeihung, Mylady.»
    Philips drehte ihren Avatar um hundertachtzig Grad und sah sich einem Nichtspieler-Charakter gegenüber: einer Art livriertem Diener. Sie wusste, es war ein Bot, ein simples KI -Programm, das begrenzte Reaktionen ausführen oder auf Aktionen gescriptet werden konnte. Das sah sie daran, dass er kein Callout über dem Kopf hatte.
    Der Avatar verbeugte sich und nahm schwungvoll den Federhut ab. «Mylady, Master Rakh wird sehr froh sein, dass Sie heil angekommen

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