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DARKNET

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Titel: DARKNET Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Suarez
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über Risiken versus Nutzen. Gaben diese Systeme den Menschen mehr, als sie ihnen nahmen? Es war das Eingeständnis, dass absolute Sicherheit nie möglich sein würde. Was es stattdessen anzustreben galt, war das schlichte Überleben. Aber dann hatte Sobol ja vielleicht recht …
    Philips wusste, sie musste wieder zurück in diesen Kampf. Aber es wurde immer offensichtlicher, dass es ein Krieg von mehr als zwei Parteien war. Vielleicht waren ja alle Kriege so?
    Sie beschloss, ihre Mutter jetzt noch nicht anzurufen. Sie wollte nicht angespannt klingen, ihre Mutter merkte das sofort. Also nahm Philips erst mal die Post unter dem Telefon heraus und sah den Stapel durch.
    Ein halbes Pfund Werbeschrott, dazwischen eine Kabelfernsehrechnung, ein Depotauszug und ein Infobrief der Stanford-Alumni. Den Depotauszug machte sie lieber gar nicht auf. Ihre Fondsinvestments hatten beim Zusammenbruch der Immobilien- und CDO -Märkte vor einiger Zeit um die Hälfte an Wert verloren und sich nicht wieder erholt. Jetzt drohten Inflation und mögliche Bankenpleiten sie erneut auf Talfahrt zu schicken. Und der Dollar sank rapide gegenüber dem Euro und dem Yuan.
    Es war kaum auszumachen, ob das durch den Daemon verursacht war, ob es an der Angst vor dem Daemon lag oder ob es gar nichts mit dem Daemon zu tun hatte. Es gab zu viele große Finanzinstitute, die de facto insolvent waren, die man aber wegen ihrer Bedeutung für die zentralisierte Globalwirtschaft nicht bankrottgehen lassen konnte. Und dennoch schien die amerikanische Wirtschaft in keinem Bereich mehr richtig in Schwung zu sein. Die Dot-com-Unternehmen waren reihenweise eingegangen, als sie gerade Examen gemacht hatte, und später dann waren die Immobilienmärkte eingebrochen. Jetzt schien der Hauptwirtschaftssektor Amerikas darin zu bestehen, Papiere im Kreis herumzuschieben. Im Grunde war sie aus den letzten acht Jahren gerade mit plus/minus null herausgekommen, obwohl sie eine Menge Geld gespart hatte. Aber sie hatte es angelegt, und die angeblich so sicheren Investments hatten sich als keineswegs sicher entpuppt. Sie hatte diese Eigentumswohnung in der Nähe von Washington gekauft, mit drei Schlafzimmern und zwei Bädern, und jetzt, vier Jahre oder achtundvierzig Hypothekenraten später, lag der Wert etwas unter dem damaligen Kaufpreis. Wenn man die Steuerersparnis durch die Zinsen, aber auch Reparatur- und Renovierungsarbeiten einrechnete, hatte sie nichts verloren, aber auch nichts gewonnen – wenn der Markt sich auf diesem Niveau hielt. Hier, in der Nähe des Verteidigungs-/Geheimdienstsektors, hatte sie wohl nichts zu befürchten, aber sie fragte sich, was die meisten Mittelschichtsamerikaner tun würden.
    Zum ersten Mal ahnte sie, welche Anziehungskraft der Daemon auf weite Teile der Bevölkerung ausüben musste. Er war eine Chance, nochmal neu anzufangen. Daemon-Agenten hatten angegeben, er biete Gesundheitsversorgung. Altersversorgung. Entschuldung. Kein Wunder. Im Grunde war er eine Unternehmensbesteuerung – und zwar eine, der die Firmenjuristen nicht entgehen konnten, indem sie den Hauptsitz des Unternehmens nach Bermuda verlegten.
    Philips stand auf und ging die Prospekte und Werbeflyer über dem geöffneten Mülleimer durch. Mode, Haushaltswaren, Kaufhaus-Sales, alles wanderte in die Tonne. Eine Reklame für Onlinespiele, weg damit. Ein Flyer für Tier-Gesundheitsprodukte –
    Moment mal.
    Sie stutzte, fischte dann die Onlinespiele-Reklame wieder aus dem Müll. Es war ein übergroßes Postkartenformat, Vierfarbdruck mit Drucklack veredelt, und offerierte eine «100-Stunden-Gratistestversion» von Cyberstorms Online-Rollenspiel
The Gate
.
    Und von der Vorderseite der Karte blickte sie Jon Ross an.
    Es war unverkennbar Jon – ein Computergraphik-Rendering von ihm als schurkischem Game-Charakter.
    Sie legte die Karte auf den Küchentisch und dachte an das erste Mal, als Ross ein geheimes Treffen mit ihr arrangiert hatte. Es hatte in Sobols Game-Welt stattgefunden, und er hatte seinen Avatar als ihr Ebenbild gestaltet. Gesichtsgeometrie, hatte er gesagt, sei eine graphische Verschlüsselung, zu deren Entschlüsselung das menschliche Gehirn auf einzigartige Weise befähigt sei. Der Trick hatte ihm dazu gedient, sich durch das automatische Filtersystem ihres Teams zu schleichen. Sie zu finden, bevor sie ihn fand. Jetzt, hier auf dieser Karte, hatte der Schurken-Avatar in mittelalterlicher Lederpanzerung Jon Ross’ Gesicht. Seit seiner Beinahe-Ermordung in

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