DARKNET
bin.»
«Natürlich weiß ich das. Sie haben dir keine andere Wahl gelassen. Und ich will auch nicht wissen, wo du jetzt bist. Ich bin einfach nur froh, deine Stimme zu hören. Dich … zu sehen.» Sie lachte leise auf. «Gewissermaßen.»
«Ja. Es ist, als ob wir Mitglieder derselben Gilde wären.»
Er bewegte schwungvoll die Arme.
«Willst du einen Trick sehen?»
Im realen Büroraum grinste sie. «Klar.»
Er hob die Hände, und etwas grell Leuchtendes zischte wie ein flammendes Geschoss hoch über die Stadt empor. Schließlich explodierte es wie eine Feuerwerksrakete mit einem lauten Knall zu einem Farbenregen.
«Ha! Sehr nützlich sieht das nicht gerade aus.»
«Na ja, ein Feuerball ist nützlicher, aber längst nicht so imposant.»
«Was machen wir jetzt, Jon?»
Er wandte sich ihr zu.
«Komm zu mir, Natalie. Komm ins Darknet.»
Sie fühlte ihr Herz wieder heftig pochen, schüttelte aber in der Realität den Kopf. «Jon, du weißt, dass das nicht geht. Ich habe einen Eid geleistet.»
«Amerika gegen äußere und innere Feinde zu verteidigen – ja. Und nichts am Darknet widerspricht dem. Sobols Kampf richtet sich gegen illegitime Macht. Das Darknet ist kein Feind demokratischer Strukturen. Ich habe es von innen gesehen.»
«Aber, Jon, der Major und seine Leute wollen die Kontrolle über den Daemon übernehmen. Sie können ihn aber nicht kontrollieren, wenn ich ihn zerstöre. Da waren wir uns doch einig.»
«Dann lass uns verhindern, dass sie die Kontrolle über ihn erlangen.»
«Und was dann? Dann haben wir es mit Loki zu tun? Oder mit hundert Lokis?»
Ross schwieg einen Moment.
«Es arbeiten auch Leute daran, den Missbrauch von Darknet-Macht zu verhindern.»
«Der Daemon ist ein zu gewagtes Experiment, Jon. Milliarden Menschenleben stehen auf dem Spiel. An der Organisation der menschlichen Gesellschaft herumzuwerkeln – das geht nie gut.»
«Komm mal mit. Ich will dir was zeigen.»
«Jon –»
«Komm einfach.»
Er führte sie zu einer hohen Statue: ein muskulöser Krieger, der vor einem in die Felswand gemeißelten, stilisierten Tor stand. Das Tor wölbte sich zu ihm hin, und durch die Zwischenräume an den Seiten zwängten sich monströse Klauenhände und Arme, aber der einsame Krieger hielt stand, mit gezogenem Schwert, vorgehaltenem Schild und entschlossener Miene. Die Statue war wohl gut und gern fünfzehn Meter hoch.
Dann erkannte Philips das Gesicht. Es war Roy Merritt. «Mein Gott, was ist das?»
«Diese Villa ist die Fraktionshalle des Merritt-Ordens. Roy wird weithin bewundert, Natalie. Es gibt ganze Fraktionen, die sich auf seine Ideale gründen – Ideale, die aus einem Leben voller guter Taten sprechen. Lies mal die Chartas von Fraktionen wie den Streitern des Rechts oder den Rittern des Feuers.»
«Ist ja toll, dass sie ihn bewundern, aber ich wüsste nicht, was das ändern sollte.»
«Die meisten Menschen sind gut, Natalie. Und zwar überall auf der Welt. Und sie reagieren auf das Aufrechte, das Roy verkörpert hat.»
Sie blickte die Statue hinauf.
«Ich bin es leid, Menschen begraben zu müssen, die mir etwas bedeutet haben. Ich will dich nicht verlieren. Du bist mir sehr wichtig.»
Wieder hatte sie nur den einen Wunsch, ihn zu umarmen – wäre es die reale Welt gewesen, wäre sie vielleicht ins Wanken geraten. Sein Avatar trat wieder näher an sie heran.
«Bitte verlass die
NSA
. Komm mit mir.»
«Ich kann nicht, Jon. Wir müssen den Daemon zerstören – bevor er ein Instrument der Tyrannei wird.»
«Aber es herrscht doch jetzt schon Tyrannei, Nat. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du das nicht siehst. Die Menschheit dient doch bereits einem System. Einem System, das unsere gewählten Regierungen nicht anerkennt. Das unsere Gesetze und Werte nicht respektiert. Und geschützt wird es von Leuten wie dem Major, die genauso brutal sind wie Loki – wenn nicht brutaler. Dieses System verdammt die Zivilisation zum Untergang durch blindes Wachstumsstreben.»
Er hielt einen Moment inne.
«Das Darknet ist das Einzige, von dem ich glaube, dass es die Menschheit aus dem Griff dieses Systems befreien kann. Deshalb bin ich ihm beigetreten.»
«Jon, warum hast du Roy angelogen, was den Tod deines Vaters betrifft?»
«Was?»
«Der kommunistische Putsch war nicht 1992. Er war 1991. Das scheint mir doch nichts, was dir einfach entfallen würde. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich dir glaube, wenn du Leute belügst. Bist du überhaupt
Russe?»
Eine Weile sah
Weitere Kostenlose Bücher