Darkover 03 - Herrin der Falken
hinunterzustoßen versucht?
Jeden Tag arbeitete Romilly zuerst mit den anderen Pferden, die, weil nicht so intelligent, einfacher zu behandeln waren; sie hatten weniger Initiative. Sonnenstern hob sie sich als Belohnung für das Ende eines langen Vormittags auf, an dem sie ihre Helferinnen beaufsichtigt und persönlich die Gangarten der Tiere und die Zeit, die sie bis zur Gewöhnung an Sattel und Zaumzeug brauchten, kontrolliert hatte. Sie wußte, daß sie nur eine von mehreren Pferdetrainern der Armee in Serrais war, die Carolin die Reittiere für seine Kavallerie liefern sollten. Manchmal sah sie den einen oder anderen auf der Ebene vor der Stadt Serrais bei der Arbeit. Aber sie wäre ein Dummkopf gewesen, wenn sie nicht erkannt hätte, daß ihre Pferde am schnellsten und am besten ausgebildet wurden. Jetzt ging sie gegen Ende eines langen Vormittags in ihrem kleinen Herrschaftsbereich umher. Für jedes ihrer Pferde hatte sie einen Klaps und eine Berührung der Nase und einen seligen Augenblick emotionalen Rapports. Sie liebte jedes einzelne, und bittersüß war das Wissen, daß sie sich bald von ihnen trennen mußte. Aber jedes Pferd würde einen Teil von ihr mit sich nehmen, wohin Carolins Armee auch reiten mochte. Berührung auf Berührung, die Umarmung eines glatten Halses und das Streicheln einer samtigen Nase, und jeder Augenblick des Rapports dehnte ihren Wahrnehmungsbereich weiter und weiter aus, bis ihr schwindelte von dem Gefühl, im Sonnen
schein dahinzurasen, auf vier Beinen, nicht auf zweien, mühelos den Reiter zu tragen, der sein eigenes Entzücken empfand.
Am Rande ihres Bewußtseins tauchte der Gedanke auf, daß diese Tiere, die ihren Reiter trugen, etwas von der höheren Wahrheit des Lastenträgers wußten, der, wie es in den Schriften des Heiligen Valentin heißt, allein das Gewicht der Welt trägt. Romilly war der Reihe nach jedes Pferd, tauchte ein in seine Widerstände, seine Disziplin und seinen Gehorsam, in das Gefühl vollkommener Einheit von Wunsch und Pflicht. Verschwommen dachte sie: Vielleicht wissen nur Pferde, was echter Glaube ist, da sie teilhaben an der Bürde des Lastenträgers. Und ich, die ich nur ein Mensch bin, wurde auserwählt, es zu erfahren und ebenfalls teilzuhaben… Es war leichter, sich im Rapport und in der Vereinigung mit einem Pferd davontragen zu lassen als mit einem Falken und auch mit einem der klügeren Kundschaftervögel, weil die Pferde eine größere Intelligenz hatten. So sensibel die Vögel waren, so herrlich es war, die Ekstase des Fluges mit ihnen zu teilen, sie hatten doch nur ein begrenztes Bewußtsein, das sich vor allem auf ihr scharfes Sehvermögen konzentrierte. Die höher organisierten Pferde hatten ein Bewußtsein, das menschlicher Art und doch nicht ganz menschlich war.
Dann wurden die anderen Pferde weggeführt, und Romilly holte sich Sonnenstern. Er arbeitete jetzt so vertraut mit ihr zusammen, daß ein bloßes Wort genügte. Ein Teil von ihr floß hinaus in Liebe, sie war das Pferd, sie spürte, wie der Sattel auf ihren eigenen Rücken gelegt wurde, und als sie die Lederriemen anzog, war sie ein merkwürdiges Doppelwesen. Sie wußte nicht, ob sie in den Sattel stieg oder die willkommene Last auf ihren Rücken nahm. Sie genoß die Empfindungen ihres eigenen Körpers, aber sie gingen unter in der Seligkeit, frei zu laufen, mit dem Wind zu rennen… so ausgeglichen, so verschmolzen mit dem Pferd, daß sie lange Zeit nicht wußte, wer sie selbst, wer Sonnenstern war. Trotzdem meinte sie bei all diesem Ineinanderfließen, daß sie noch nie so voll und ganz sie selbst gewesen sei, noch nie ihre Umgebung so scharf erfaßt habe. Die Wärme der Sonne, der Schweiß, der über ihre Flanken strömte, das einfühlsame Ausbalancieren des Gewichts, das sie von unten, nein, von innen spürte… Die Zeit schien sich aufzusplittern in infinitesimale Bruchteile, von denen sie jedem seine wahre Bedeutung gab, ohne Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft, ganz hingegeben an die absolute Gegenwart.
Und dann kehrte sie bedauernd zurück und trennte sich von Sonnenstern. Am Koppelzaun stieg sie ab, lehnte sich an ihn und warf ihm in ekstatischer Liebe, nichts als gebend, nichts als empfangend, die Arme um den glänzenden Hals. Es bedurfte keiner Worte. Sie gehörte ihm, er ihr; auch wenn sie diese Vollendung, dieses berauschende Entzücken nie wieder erlebten, wenn sie ihn nie wieder bestieg und nie wieder mit ihm über eine endlose Ebene der alles andere
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