Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
wir gezwungen, uns aufzuteilen, und damit können sie uns einen nach dem anderen aufspüren und töten.« Aber unter den gegebenen Umständen, dachte er, ohne es laut auszusprechen, können wir auch nicht kämpfen.
»Es muss eine andere Lösung geben, Onkel!« Verzweiflung bemächtigte sich ihrer, legte eisige Klauen um ihren Hals. Im Fackelschein sah sie, wie Rafaels Gesichtsausdruck wechselte. Er wollte sie aus dem Lager wegschicken, in die fragliche Sicherheit des Hinterlands. Er hielt sie im besten Falle für nutzlos, für jemanden, der auf Kosten seiner ohnehin erbärmlich geschrumpften Kampfkraft geschützt werden musste.
»Nein, du musst für mich keinen Mann abstellen«, sagte sie so schroff wie möglich. »Ich kann mich diesem Bann widersetzen, weißt du nicht mehr?« Sie hob den Dolch, den Gerolamo ihr in die Hand gedrückt hatte. »Und ich bin bewaffnet. Ich gehe zu Edric und den anderen, vielleicht kann ich dort helfen.«
Womöglich sah sie Rafael Hastur in diesem Augenblick zum letzten Mal lebend. Sie wollte die Arme um ihn werfen und ihm für seine Freundlichkeit und seine Vision danken. Aber sie traute sich nicht. Sie musste so tun, als bliebe ihnen noch eine Chance.
Weniger als eine Stunde!
Als Taniquel zu ihrem Zelt zurückrannte, schien der Laran-Angriff wieder an Wucht zu gewinnen. Zwar kämpften nur noch wenige Soldaten miteinander, doch viele saßen jetzt mit gesenkten Köpfen einfach da, schluchzten oder hatten die Hände vors Gesicht geschlagen. In den Augen der Männer, die aufblickten und sie anschauten, als sie vorüberging, sah sie nicht nur den lauernden Wahnsinn, sondern auch tiefe Verzweiflung. Sie musste doch irgendetwas tun können!
Taniquel zog den Zelteingang hinter sich zu, setzte sich auf ihre Pritsche und barg das Gesicht in den verschränkten Armen. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, sie hätte einen Sternenstein und die erforderliche Ausbildung, um ihn zu benutzen. Damit könnte sie sich Graciela und den anderen anschließen und ihren Widerstand verstärken. Sie wünschte, sie könnte Deslucidos Männern im Gegenzug Visionen von flammenden Skorpionen schicken. Vielleicht könnte sie sogar an diesen verschwommenen Ort jenseits der normalen Zeit und des gewohnten Raums gehen und in der so genannten Überwelt Hilfe finden.
Hilfe. Wohin würde sie sich wenden, wen würde sie um Hilfe bitten? Abgesehen von Caitlin hatte sie unter den Leuten von Hali nur eine flüchtige Bekannte.
Aber Hali war nicht der einzige Turm, der ihrem Onkel verpflichtet war. Auch der Turm von Neskaya schuldete Hastur Treue - und Coryn war in Neskaya.
Coryn…
Taniquel hob den Kopf. Alle ihre Sinne versanken in Erinnerungen… die Wärme des flirrenden Sonnenlichts an jenem magischen Nachmittag im Garten, seine süßen, weichen Lippen auf den ihren, der Geruch der Blumen und seiner Haut. Sein Haar, das ihm offen auf die Schultern fiel, hatte ihr Gesicht gestreift, als er sich umdrehte; sogar jetzt noch spürte sie diese zarte, seidige Berührung. Sein sanft geschwungenes Ohr vor dem dunkleren Hintergrund, die kräftige Linie seines Unterkiefers. In ihrer Vorstellung drehte er sich wieder um und blickte sie mit diesen Augen voller Licht so durchdringend an, dass sie spürte, wie sie in ihnen versank…
Sie legte sich auf die Pritsche und faltete die Hände.
Coryn…
Während sie seinen Namen aussprach, rief ihr Herz laut nach ihm. Sehnsucht quälte sie.
»Durch Wasser bist du zu mir gekommen, durch Feuer komme ich zu dir.« Aber wo war das Wasser? Wo das Feuer?
Feuer… und wieder sah sie die unmöglichen blauen Flammen, wie in ihren Träumen. Jetzt stand sie im Herzen der Glut, mitten in der Funken sprühenden Matrix. Einen Augenblick lang konnte sie sich nicht bewegen, wagte nicht einmal zu atmen, aus Angst davor, sich die Lungen zu versengen. Aber die Flammen brannten ohne Hitze und ohne Rauch. Sie verbrannten nichts, stiegen aus dem Nichts empor. Ihre Hände glitten unversehrt durch die schimmernden Wände.
Sie nahm ihren Mut zusammen, machte einen Schritt und dann noch einen. Als sie aus dem blauen Feuer hervortrat, spürte sie festen Boden unter den Füßen. Sie blinzelte, um deutlicher sehen zu können.
Sie stand auf einer Ebene in fugenlosem Grau unter einem ebenso nichts sagenden Himmel. Kein Lüftchen regte sich, kein Geräusch drang an ihr Ohr. Alles schien sich bis in die Unendlichkeit auszudehnen: grauer Untergrund, grauer Himmel, grauer Horizont.
Obwohl sie atmete, nahm sie
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