Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
konnte nicht weiterreden.
»Schon in Ordnung«, sagte Aran mit einem flüchtigen Lächeln wie ein Sonnenstrahl, der durch Sturmwolken bricht. »Mit der Zeit wird alles wieder gut. So ist es immer.«
Kieran und die anderen beiden Bewahrer schritten die Treppe hinab, zusammen mit einer Hand voll älterer Techniker. Ein Bewahrer ging vor den bewaffneten Soldaten aus Ambervale her, während die anderen beiden das Schlusslicht bildeten. Coryn dachte, wenn auch nur einer der Bewaffneten um Haaresbreite aus der Linie ausscherte, würde er auf der Stelle niedergestreckt, so grimmig war die Miene der Bewahrer. Das schien den Männern klar zu sein, denn ihre Gesichter waren weiß und reglos wie Stein.
Nachdem die Soldaten vor die Tore geleitet worden waren, kehrte Tomas, der Bewahrer des Ersten Kreises, zurück und wandte sich an die Gruppe, die inzwischen fast sämtliche Bewohner des Turms umfasste. Gareth stand hinten im Raum, noch immer in die dicke weiße Wolle gehüllt, die er trug, wenn er einen Arbeitskreis überwachte.
»Wir haben uns stets bemüht, uns von den kleinlichen Auseinandersetzungen der äußeren Welt fern zu halten, abgesehen von den rechtmäßigen Anweisungen derer, denen wir Treue geschworen haben«, sagte Tomas. Weder seine Stimme noch seine Haltung verriet etwas, so absolut hatte er sich in der Gewalt. »Doch gelegentlich dringt die äußere Welt bei uns ein. Die Heimatburg von Liane Storn, die unter uns als Überwacherin gelebt und gearbeitet hat, wird nun von König Damian Deslucido als Lehen gefordert. Er hat seine Leute geschickt, damit sie als Geisel dort Quartier bezieht, zur Gewähr der Treue ihres Bruders.«
Erregung bemächtigte sich der Leute. Eine der jüngeren Frauen schrie auf. Aran sog scharf die Luft ein.
Coryn sprang auf, die Hände zu Fäusten geballt. »Ihr werdet sie doch nicht aushändigen? Das dürft Ihr nicht!«
Tomas drehte sich langsam zu Coryn zu. »Normalerweise würden wir niemanden von uns einem unbedeutenden Emporkömmling ausliefern, der sich erdreistet, uns Anweisungen geben zu wollen.« Seine Worte drückten unterschwellig eine weitere Botschaft aus, die jeder im Turm deutlich hören konnte. Und wir haben die Mittel, uns gegen diesen Pöbel zu verteidigen.
Dann holte er tief Luft, und Coryn sank der Mut. »In diesem Fall sind die Treueverpflichtungen unklar. König Damian hat vielleicht wirklich das gesetzlich verbürgte Recht, eine solche Forderung zu stellen. Wir werden seinen Anspruch im Licht der historischen Präzedenzfälle und der Titel, die er nun besitzt, prüfen. Liane hat allerdings selbst den Wunsch geäußert, die Soldaten zu begleiten.«
»Was?«
»Warum?«
Auch Coryn wollte protestieren, doch eine jähe Erkenntnis versagte ihm die Stimme. Wenn Liane blieb, konnte Ambervale ihre Weigerung als Vorwand für Vergeltungsmaßnahmen verwenden. Und während Tramontana sich verteidigte, konnte es in einen größeren Konflikt hineingezogen werden. Das war die einzige Möglichkeit, Neutralität zu wahren, wenn auch nur für kurze Zeit.
Tomas hob die Hand, damit wieder Ruhe einkehrte. Der Mondsteinring an seinem Mittelfinger funkelte im Licht. »Liane hat ihre Wahl aus guten Gründen getroffen. Ihr Bewahrer hat es ihr erlaubt. Mehr braucht nicht gesagt zu werden. Es ist eine Privatsache.«
Cathal sprang auf. »Andere Menschen mit Ehrgeiz werden das nicht so sehen! Sie werden glauben, dass sie nur zu einem Turm zu marschieren brauchen, der ihnen gefällt, und Forderungen zu stellen!«
Die Muskeln von Coryns Hand schmerzten, und seine Nägel gruben Halbmonde in das Fleisch seiner Handflächen.
»Dann müssen wir sie eines anderen belehren!«, schrie ein anderer.
»Im Moment erteilen wir niemandem Lehren«, sagte Tomas. »Wir werden weiter unseren Geschäften nachgehen und Liane den ihren.« Darauf verließ er mit rauschendem Gewand das Zimmer.
Wie ein Pfeil, der von der Sehne schnellt, raste Coryn die Treppen zu den Unterkünften der Frauen hinauf. Aran folgte nur einen Schritt hinter ihm. Lianes Tür stand weit offen und gab den Blick auf sie frei und auf Bronwyn und eine der jüngeren Matrix-Mechanikerinnen, ein schüchternes Mädchen aus dem Gebirgsland unweit von Aldaran. Liane ging ihre Kleidung durch und legte sie gefaltet in ihre geschnitzte Truhe.
»Liane!«, rief Coryn. »Du darfst nicht gehen! Du… «
Bronwyn richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, und in ihren Augen blitzte kaltes Licht. Coryns nächste Worte kamen ihm nicht mehr
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