Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
über die Lippen. Liane beugte sich nach einem kurzen, ausdruckslosen Blick - erst auf Coryn, dann auf Aran - wieder vor und strich die Falten aus einem dünnen Linex-Hängekleid.
»Das ist nicht der richtige Ort für dich«, sagte Bronwyn mit fester Stimme, aber nicht unfreundlich, zu Coryn. Sie trat vor das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
»Aber Liane… «
»Wenn du auch nur ein Quäntchen für sie übrig hast, wirst du ihre Not nicht noch verstärken! Glaubst du, das ist einfach für sie? Glaubst du, sie wählt aus freien Stücken das Leben einer Geisel?«
Coryn schüttelte den Kopf. »Sie muss doch nicht gehen! Kieran wird sie nicht ausliefern, wenn sie sich weigert, und als ihr Bewahrer hat er das letzte Wort. Sie weiß ja nicht, was sie tut!«
»Sie weiß genau, was sie tut«, antwortete Bronwyn mit einer Stimme wie ein Peitschenknall. »Und nicht viele würden ihren Mut oder ihre Treue so unter Beweis stellen. Tomas hat die Bedingungen von Ambervales Forderungen nicht erklärt, weil sie den Turm nichts angehen. Aber du als möglicher Erbe Verdantas… «
Ihr Blick huschte zu Aran, der neben Coryn stand. Coryn fröstelte, als er die Verwundbarkeit seiner Lage erkannte. Mit Eddard als Gefangenem in seiner eigenen Burg und Petro auf der Vermisstenliste konnte er durchaus der nächste legitime Lord Leynier werden. Das war eine Rolle, die er nie einnehmen wollte, kaum jemals erwogen hatte. Wie lange würde es noch dauern, bis Deslucido Tramontana die Anweisung erteilte, ihn auszuliefern?
Coryn fasste sich. Wenn er schon Lord werden sollte, konnte er sich auch entsprechend verhalten. »Aran ist mein Schwurbruder«, sagte er und betonte das Wort so, dass es an Friedensmann erinnerte. »Du kannst vor ihm genauso frei sprechen wie vor mir.«
Die äußeren Ränder von Bronwyns Mund kräuselten sich leicht. »Dann verstehe dies. Liane wird nicht nach Ambervale, sondern nach Linn reisen. Sie mag eine Gefangene sein, ein Faustpfand für den Gehorsam ihres Bruders, aber sie wird dort gut behandelt werden. Ihre Auslieferung ist der Preis, den ihr Bruder dafür bezahlt, dass High Kinnally weiter ein Lehen von Ambervale bleiben kann. Die Alternative wäre… « Sie machte eine kurze Pause und musterte ihn. »… dass High Kinnally unter die Herrschaft von Verdanta fällt.«
Zwei Gedanken stoben gleichzeitig durch Coryns Verstand.
Der erste war, dass König Damian sich seiner Kontrolle über Eddard sehr sicher war. Der zweite, dass die Storns nun offenbar Gefahr liefen, sich ihrem lebenslangen Feind unterwerfen zu müssen. Einst hätte er sich bei dieser Vorstellung gefreut, wäre sogar stolz darauf gewesen, doch seine Jahre im Turm und seine Freundschaft mit Liane hatten seinen Horizont erweitert. Nun fragte er sich, was wäre, wenn es genau andersherum läge und Verdanta gezwungen wäre, sich High Kinnally zu beugen? Das war unvorstellbar, einfach unerträglich! So musste es auch Liane empfunden haben.
Der Augenblick der Stille dehnte sich aus. Bronwyn sagte leise.
»Verstehst du jetzt, warum sie nicht mit dir sprechen kann?
Nicht einmal, um dir Lebewohl zu sagen?«
»Ich hatte so sehr gehofft… « Coryn schnürte es die Kehle zu, und die Worte kamen nur stockend heraus. »Sie und ich, wir haben doch so viel zusammen erlebt… unsere Arbeit im Kreis… Kierans Traum, all die politischen Querelen hinter uns zu lassen… Ich dachte, sie liebt mich.«
»Sie liebt dich auch, wie einen Bruder. Und genau deshalb wäre es das Anständigste, wenn du ihre Entscheidung nicht in Frage stellst.«
O Liane! Sein Herz sehnte sich nach ihr, »Und ich«, meldete sich Aran zu Wort, »darf ich mit ihr sprechen?« Coryn hörte den Edelmut, das Mitleid heraus. Aran konnte seiner Wesensart entsprechend ihre Liebe vielleicht nicht erwidern, aber er brachte ihr entgegen, was in seiner Macht stand.
Bronwyns Miene blieb ausdruckslos. »Wenn sie mit allem fertig ist, werde ich sie fragen. Nun geht, beide. Kehren wir an unsere Arbeit zurück.«
Aran sprach schließlich mit Liane, doch er verriet Coryn nichts von ihrem Gespräch. Coryn sah sie noch einmal aus der Ferne, als er aus einem der Türme beobachtete, wie die Soldaten von Ambervale sie zu Pferde davonbegleiteten. Er fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn Tramontana High Kinnally mit Haftfeuer versorgt hätte, wenn Liane nicht die ganze Zeit Recht gehabt hätte. Bronwyn sagte, dass Liane ihm keine Schuld gebe; er wünschte, er könnte sich selbst gegenüber so
Weitere Kostenlose Bücher