Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
hatte sie sich einen Schal um Kopf und Schultern geschlungen, als könnte der frische Nebel sie verletzen. Es gab Gerüchte, wonach das Kind, das sie trug, von Padrik stammte. Sollte es ein Knabe werden, konnte er zusammen mit Taniquels Sohn als sein Pflegebruder und Friedensmann aufwachsen. Sie musste mit Padrik darüber sprechen.
»Gesegnete Cassilda!«, keuchte Piadora. »Ihr seid in Sicherheit!«
Taniquel unterdrückte ihren Ärger. Natürlich war sie in Sicherheit. Hier in ihrer eigenen Burg, während ihr Gemahl zu ihrer Rettung herbeigestürmt kam - was sollte sie da sonst sein? Aber das Mädchen hatte geweint und wischte sich gerade mit der Hand die feuchten Wangen ab. »Warum bist du nicht drinnen bei den anderen Frauen?«
»Aber - aber jemand muss sich doch um Euch kümmern!« Piadora war rast außer sich vor Aufregung. »Wo die Burg doch belagert wird! Und dann das Feuer! Die Explosionen! Ich schwöre Euch, die Steine unter meinen Füßen bebten! Ach, Mylady! Was soll nur aus uns werden? Was werden diese Monster als Nächstes tun? Manche sagen, sie sind aus Shainsa und wollen uns alle in Ketten dorthin zurückbringen! Und wieder andere sagen, es sind Aldaraner, die für ihre bösen Riten Menschenopfer brauchen!«
Bei diesen Worten warf sie sich Taniquel zu Füßen und ergriff den Saum ihres Kleides. »Ach, rettet mich! Rettet mich!«
Taniquel wünschte sich nichts sehnlichster, als dieser Person mit barschen Worten etwas Verstand einzutrichtern, aber sie war eine Königin und Comynara. Ebenso freundlich wie bestimmt half sie dem Mädchen auf die Beine und zog sie zur Brustwehr, wo sie sich anschauen konnte, was für eine Szene sich unten abspielte.
»Schau, Chiya, wir sind nicht wirklich in Gefahr. Sieh nur, wie wenig Angreifer es sind, und sieh, wie unser Herr zu unserer Verteidigung angeritten kommt. In wenigen Minuten ist er bei ihnen. Wie langsam sie sind, wie töricht, dass sie ihren Irrtum nicht begreifen. Sie nähern sich, als wüssten sie nicht, wer ihnen auf den Fersen ist. Unsere Soldaten werden sie an den Toren aufhalten, so dass sie nicht mehr entkommen können.«
»Die Tore sind geschlossen?« Piadora beugte sich weit vor und keuchte vor Aufregung. Sie hatte sich drinnen aufgehalten, als die ersten Brandbomben fielen, und geglaubt, die Tore wären zerstört worden.
»Ja, und wir werden sie erst öffnen, wenn der Sieg unser ist. Wir dürfen sie nicht öffnen.« Taniquel runzelte über ihre eigenen Worte die Stirn. Eigenartig, dass sie so etwas sagte.
Wir dürfen die Tore nicht öffnen. Dürfen die Tore nicht öffnen. Die Worte hämmerten in ihrem Kopf. Ihre Schläfen pochten bei jeder Silbe. Sie bedeckte mit einer Hand die Augen und sank halb gegen die Steinbrüstung.
»Mylady!« Nun klang echte Panik aus der Stimme des Mädchens. »Was fehlt Euch?«
»Ich… ich weiß… nicht… «
Schreie drangen von unten herauf, ein Gebrüll wie aus hundert und mehr Kehlen. Einige Stimmen klangen nahe, unten von der Schwelle, andere, als näherten sie sich…
Dürfen die Tore nicht öffnen…
Weiterer Hörnerschall erklang, diesmal dicht bei ihnen. Taniquel riss die Hand von den Augen und blinzelte gegen den heftigen Schmerz an, der durch ihren Schädel raste. Die Soldaten von Ambervale befanden sich in Speerwurfweite vor den Toren, und die Verteidiger warteten nur auf das Zeichen, sich in die Schlacht zu stürzen. Padrik und seine Leute jagten die Straße entlang, höchstens Minuten entfernt. Hinter ihnen strömten auf einmal hinter jedem Gebüsch, jeder Hecke und jedem Obstbaum der geschützten Plantagen Soldaten von Ambervale hervor. Einen Moment lang machten sie auf Taniquel den Eindruck riesiger Insekten, die aus ihren unterirdischen Löchern ausschwärmten. Dann begriff sie, dass sie auf der Lauer gelegen und darauf gewartet hatten, dass Padrik und seine Männer vorbeikamen.
Er war es, der an den Toren aufgerieben werden würde, nicht die erste Streitmacht von Ambervale. Der Angriff der Reiterei war bloß der Köder für die Falle gewesen.
Während Taniquel entsetzt zusah, kam Padrik immer näher. Er war sich noch nicht bewusst, dass er in einen Hinterhalt ritt.
Wenn er sich wenigstens bis zu den Toren durchschlagen könnte, dachte sie, seine Männer würden schon dafür sorgen, dass sie eine Belagerung der Burg überstanden -… dürfen die Tore nicht öffnen… - aber das wussten die Soldaten der Burg nicht, nicht angesichts der Reiter von Ambervale, die drauf und dran waren, die
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