Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
aufbäumte, und den roten Fleck hinter seiner Schulter, in den sich ein Speer gebohrt hatte. Sie hörte das Wiehern des Tieres, das jäh abbrach, und dann… so langsam, dass sie meinte, es würde ihr das Herz zerreißen… wie Pferd und Reiter sich erst himmelwärts streckten und dann stürzten. Die Schlacht wogte über sie hinweg, als die Türen ihr die Sicht nahmen.
14
Für eine lange Minute konnte Taniquel nicht atmen. Das Herz erstarrte ihr im Leib. Die Dunkelheit des Eingangs löschte alle Wahrnehmungen aus. Dann wich der Moment des Schocks wieder wie ein Schleier, der sich vor den Augen hob. Sie schob das Kinn vor. Sie war eine Comynara von der Blutlinie Hasturs und Cassildas sowie Königin von Acosta. Für Gefühle und Schwäche hatte sie keine Zeit.
Sie rauschte durch die inneren Tore, während die Hauswachen in Habtachtstellung gingen, und betrat die Haupthalle. Die drei ältesten Berater - einst die ihres Gemahls und jetzt ihre - erwarteten sie mit grimmiger Miene. Keiner von ihnen trug seine offizielle Amtstracht, denn das Zurschaustellen des Ranges interessierte sie nicht. Der älteste hatte sie und Padrik unterrichtet. Im Hinterkopf konnte sie fast noch seine Stimme hören, wie er die trockenen historischen Tatsachen und Protokolle in den lebhaftesten Farben schilderte. Gavriel war sein Name, Nedestro-Sohn eines unbedeutenderen Zweigs der Elhalyn, als Jugendlicher zu Zeiten von Padriks Vater hierher gekommen, um seinen Weg in der Welt zu machen.
»Die Tore stehen offen, und mein Lord ist in der Schlacht gefallen«, teilte sie den Beratern mit. Ein eiserner Wille, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass sie ihn besaß, verhinderte, dass ihre Stimme zitterte. »Wir müssen uns darauf vorbereiten, den Eindringling zu empfangen.«
Gavriel nickte kaum merklich. Die schwache Bewegung beruhigte sie über alle Maßen.
»Bereiten wir uns schnellstens vor.« Sie machte eine Geste zu dem Burg-Coridom, der mit seinem Pulk von Dienern etwas abseits stand. Er trat vor und verneigte sich.
»Wir müssen uns um die Verwundeten kümmern«, sagte sie.
»Sieh zu, dass für sie Platz geschaffen wird. Hol den Chefchirurgen und gib allen Bescheid, die sich aufs Heilen verstehen. Wir brauchen heißes Wasser, Verbände, Salben und Betten.«
Als er sich erneut verneigte und kehrtmachte, um die Anweisungen an seine Leute weiterzugeben, ließ Taniquel den Blick durch die Halle schweifen. Wandteppiche bedeckten die Steinmauern, von denen einige schon verblichen und alt gewesen waren, als sie als Kind hierher gekommen war. Andere warteten mit helleren Farben auf, darunter eine Szene mit Cassilda und Camilla, die sie und ihre Zofen erst vorigen Mittwinter abgeschlossen hatten. Der große, geschnitzte Thron funkelte blank poliert, obwohl die Kissen ein wenig fadenscheinig waren. Der Coridom und seine Haushälter waren äußerst tüchtig, und so verunglimpfte kein Staubkörnchen den Raum. Hellgraues Licht sickerte durch die hohen Fensterschlitze und vermischte sich mit dem weichen Gelb der Wandkerzen. Der gewaltige Kamin - Steine in verschiedenen Grautönen, zu einem erlesenen Mosaik zusammengesetzt, das den Adler von Acosta zeigte - war düster und kalt, denn der Winter war vorbei, und Padrik hatte nichts dafür übrig gehabt, Brennstoff für eitles Gepränge zu verschwenden.
Rasch gab Taniquel den Befehl, alle Kerzen und Fackeln anzuzünden. Auf den Kamin verzichtete sie, denn für ein angemessenes Feuer blieb nicht mehr genug Zeit. »Du, du und du… « Sie deutete auf drei Frauen, die ihre Sinne anscheinend noch beisammenhatten. »Kommt mit.« Sie folgten ihr, als sie zu ihren Gemächern ging. Piador, das schwangere Mädchen, erwartete sie dort mit tränenüberströmtem Gesicht. Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch gleich wieder, als sie Taniquels Miene sah.
Im Umkleidezimmer begab Taniquel sich zu dem riesigen Garderobenschrank, in den ein Muster aus Blumen und Schwänen eingeschnitzt war. Sie riss die Türen auf. Unmengen von Farben und Stoffen brandeten auf sie ein - ein Gewand aus Pfauenseide, gesäumt mit langer silberner Spitze, lange Tuniken, die von goldenen und purpurnen Stickereien steif waren oder aus weicher Wolle von der Farbe erlesener Acosta-Weine bestanden, ein Mantel mit einem Besatz aus Schneeleopardenfell und Schachteln mit Kopfschmuck, Fächern, Handschuhen und Pantoffeln. Der gemischte Duft von Zedernweihrauch und Rosmarin benebelte ihre Sinne. Sie deutete auf das goldene Brokatkleid.
»Das
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