Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
sich, auf der Rryl zu spielen. Sie sang nicht besonders gut, also nahm Taniquel das Instrument selbst, legte es sich auf den Schoß und versuchte sich an die Akkorde von Padriks Lieblingslied zu erinnern.
Es war viel zu lange her, seit sie es zuletzt gespielt hatte, und ihre Finger zupften steif an den Saiten. Langsam kamen ihr die Worte über die Lippen.
»Über die Berge und über die Wogen unter Fontänen und übers Grab unter Fluten, wo sie am tiefsten, und über Felsen der steilsten Art… «
Taniquel unterbrach sich, als ihr Verellas Blick bewusst wurde. Sie hatte ganz vergessen, dass es ein Liebeslied war. Oder vielmehr ein Lied der verlorenen Liebe, der uneingelösten Versprechen.
Als dieses Lied und dann das nächste - eine idyllische Ballade, liebestrunkener Unfug über die Hingabe eines Schäfers an eine Adlige - zu Ende waren, bat Taniquel ihre Zofen, sich zurückzuziehen. Sie würden sich nicht weit entfernen, aber wenigstens ermöglichte ihr das ein gewisses Maß an Alleinsein. Sollten sie sie doch für eine gebrochene, trauernde Witwe halten. Sollten sie Deslucido diese Nachricht überbringen. Dadurch gewann sie Zeit, um Verbündete und Ressourcen zu finden.
Was für Verbündete? Gavriels erste Loyalität musste Acosta gelten. Er musste alles daran setzen, den eisernen Griff des Eroberers zu schwächen. Wenn es in seiner Macht stand, ihr zu helfen, täte er das auch, aber so bald würde das nicht geschehen, erst wenn seine Position gesichert war. Bei ihm durfte sie weder auf Rat noch auf Beistand hoffen, so wenig wie bei ihren Zofen.
Einsam stieg Taniquel in ihr Bett und machte es sich zwischen den Kissen und Decken bequem. Die Augen taten ihr weh, obwohl sie nicht geweint hatte. Anscheinend döste sie für eine Weile ein; kaum erkennbare Bilder flackerten wie Wachträume durch ihren Verstand.
Padriks großes weißes Pferd, das mit den Vorderläufen die Luft peitscht, wie es zwischen den Kämpfern zusammenbricht… , läutende Glocken… feiner Niesel über grünem Gras… . das Gesicht eines Mannes mit kupferrotem Haar, eingerahmt von blauem Feuer… Belisar, der mit diesem arroganten Lächeln nach ihr greift… immer und immer wieder das stürzende weiße Pferd… Langsam ging sie geistig die Einzelheiten durch und zwang sich zu denken statt zu fühlen. Wenn sie frei war, würde noch genug Zeit zum Trauern bleiben. Jetzt herrschte erst einmal Deslucido über Acosta. Es lag nicht in ihrer Macht, ihn herauszufordern.
Außerdem wollte er sie mit seinem Sohn vermählen, um so auf dem Umweg über sie einen legitimen Anspruch zu erlangen.
Nichts, was sie sagte oder tat, konnte daran etwas ändern.
Sie hatte nie auf eine Liebesheirat gehofft. Das Schicksal war ihr einmal gewogen gewesen, als ihre Familie einen Gemahl erwählte, der ihr Kameradschaft und Herzensgüte geboten hatte.
Nur eine Närrin würde so etwas ein zweites Mal erwarten.
Wie sollte sie diesen goldenen Prinzen heiraten können, den Sohn des Vaters, der den Gefährten ihrer Kindheit umgebracht und sich durch Irreführung ihrer Heimat bemächtigt hatte?
Und was war mit ihrem Sohn? Gesegnete Cassilda, Hüterin der Babys in den Armen ihrer Mütter, was war mit ihrem ungeborenen Sohn?
Ihre Periode war noch nicht über der Zeit, noch nicht. Verzweifelt dachte sie, wenn sie schon gezwungen war, diesen Belisar zu heiraten, sollte sie ihm dann nicht gestatten, mit ihr zu schlafen, und die Schwangerschaft ihm zuschreiben?
Lieber würde ich mich mit einem Cralmac paaren!
Schon beim bloßen Gedanken daran kam ihr die Galle hoch. Ihre Muskeln bebten vor Abscheu. Und sie konnte nicht einmal ihren Tod als ehrenwerten Ausweg wählen, weil sie ein anderes, unschuldiges Leben in sich trug. Egal um welchen Preis, sie musste überleben.
Sie beruhigte sich, ballte jedoch die Fäuste und grub so hart die Nägel in ihre Handflächen, dass kleine dunkelrote Sicheln zurückblieben.
Das leise Rascheln eines zerfallenden Holzscheits holte sie in die Gegenwart zurück. Nach dem Untergang der Sonne war es im Zimmer dunkel und kühl geworden. Piadora kam herein und zündete einen großen Kandelaber an. In dem weichen Licht sah Taniquel, dass sie geweint hatte.
Wenigstens eine von uns, dachte sie mit einem Anflug von Schuldgefühlen.
Viel Arbeit erwartete sie. Es gab ein altes Sprichwort, dem zufolge es nicht sehr klug war, mit einem Stock in einem Bau voller Skorpionameisen herumzustochern. Sie musste einfach vermeiden, dass noch weiterer Argwohn als
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