Darkover 05 - Zandrus Schmiede

hatte auf dem Tisch, den sie verwendet hatten, Felicias Körper gelegen, in Stasis gehalten.
    Statt auf den Tisch und die verhüllte Gestalt seiner Liebsten starrte Varzil jetzt auf einen Trümmerhaufen. Eine Wand war schon eingestürzt, und die anderen konnten jeden Augenblick nachgeben.
    NEIN!
    Er warf sich dorthin, wo der Tisch gestanden hatte, und dachte nur daran, die Steine zur Seite zu zerren, rasch, solange vielleicht noch Hoffnung bestand. Er dachte nicht an ihr Gewicht, an die eigene Gefahr…
    Seine Hände griffen geisterhaft geradewegs durch das Gestein. Die Decke stürzte auf ihn herab und füllte den verbleibenden Raum vollständig aus.
    Abermals packte ihn das weiße Licht. Er befand sich nicht mehr in dem kleinen Steinkeller oder im Krankenzimmer, und er war auch nicht allein. Obwohl wieder blind, erfüllte ihn diese vertraute Gegenwart, leicht und froh.
    Rasch!, sang Felicias mentale Stimme in seinem Geist. Wir müssen Hali zwingen, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten, bevor noch mehr Menschen sterben!
    Barmherzige Götter…
    Ihr Gesicht schwebte vor ihm, ähnlich wie beim letzten Mal, als er sie gesehen hatte, eine Vision, seinen Träumen und der Erinnerung des Herzens entsprungen. Ein Lächeln, trotz seiner Kürze unaussprechlich süß, huschte über ihre Lippen. Sie streckte eine fahle Hand nach ihm aus -
    - und er stand neben ihr in der Überwelt. Ihre Finger glitten durch seine, substanzlos wie Nebel. Er sah, dass sie farblos geworden war, wie die seltsame graue Ebene. Schon verblassten ihre Augen, die einst so voller Intelligenz und Gefühl gewesen waren. Sie fasste sich noch einmal mit sichtlicher Mühe. Ein Augenblick der Klarheit folgte. Ihre Lippen bewegten sich…
    Geh -
    Obwohl sie so reglos wie bisher stand, wich sie zusehends zurück. Die Entfernung zwischen ihnen wurde immer größer. Und doch glaubte Varzil, nur die Hand ausstrecken zu brauchen, um sie wieder in die Arme nehmen, ihre Lippen schmecken zu können…
    Felicia machte einen Schritt zur Seite und schüttelte den Kopf. Er verstand; er war kein unwissender Novize, sondern ein Laranzu und Bewahrer. Er war in den Gefahren der Überwelt geschult und besonders in dem sicheren Scheitern eines jeden Versuchs, den Kontakt mit den Toten aufrechtzuerhalten. Gab er dieser Versuchung nach, wusste er, gäbe es kein Zurück mehr für ihn. Egal wie weit oder wie schnell er ihr nacheilte, sie würde ihm entgleiten. Die Zeit, die in der Überwelt schwer genug zu fassen war, würde endgültig jede Bedeutung verlieren. Er würde seine aussichtslose Jagd in alle Ewigkeit fortsetzen, von Verzweiflung und Hoffnung getrieben, bis sein stofflicher Körper verfiel und starb.
    Geh -, hatte sie ihn gedrängt. Ihn gebeten.
    Obwohl es ihm das Herz in der Brust zerreißen wollte, wandte er ihr den Rücken zu und beschwor die Überwelt-Entsprechung des Turms von Hali herauf.

45
    Varzil stellte sich Hali so vor, wie er es beim ersten Mal gesehen hatte: als einen schlanken weißen Turm am Ufer des Wolkensees. Das Bild waberte und vermischte sich mit einer Vision desselben Turms in der weit zurückliegenden Zeit des Zusammenbruchs. Er richtete seinen Willen und seine Konzentration auf die blitzartig auftauchenden Bilder heutiger Personen - Dougal DiAsturian… der Laranzu an den Relais… Dyannis…
    Varzil, nein!, heulte es in seinem Geist, verzerrt und kaum erkennbar.
    Er hatte in Hali nie einem Kreis angehört. Von seinen Besuchen kannte er nur einen Teil des Grundrisses. Er erinnerte sich an das Zimmer, in dem er erwacht war, an die Freundlichkeit der Heiler, die sich um ihn gekümmert hatten. An Einzelheiten erinnerte er sich nicht; er war damals noch ein Kind gewesen und hatte gerade einen gewaltigen Schock erlitten.
    Das ist Jahre her, sagte er sich. Sie werden sich nicht mehr an mich erinnern.
    Aber er hatte die durchscheinenden blauen Steine des Hali-Turms noch vor Augen, die nicht nur benutzt wurden, sondern als riesige, opulente Brocken, Zeichen einer Zeit, in der einzig der Wille und die Vorlieben der Comyn-Lords zählten. Erneut blickte er auf ein kreisrundes Zimmer hinunter, von großzügigen Ausmaßen, und auf die gewaltige künstliche Matrix in der Mitte. Ein Kreis hatte sich hier versammelt, die Augen konzentriert geschlossen, die Köpfe mit flammend rotem oder kupferfarbenem Haar gesenkt, sich an den Händen haltend. Energie, die als blauweißes Funkeln zu sehen war, umloderte ihre Gesichter. Seine Erinnerung oder seine mitfühlende