Darkover 06 - Die Flamme von Hali
sich nicht überwinden davonzulaufen oder auch nur den Arm zu heben und die Augen zu bedecken.
Während Rumail weitersprach, wurden seine Züge strenger und fester. Eduin erinnerte sich nur zu gut an diese Miene. Sein Vater hatte selten anders ausgesehen. Erst als er nach Arilinn gekommen war, hatte er erfahren, dass erwachsene Männer auch sanft sein, dass sie ihn ermutigen konnten. Als sein Bewahrer zum ersten Mal freundlich mit ihm gesprochen hatte, hatte Eduin es einfach nicht glauben können. Viele Jahreszeiten waren vergangen, bevor er erkannte, dass Auster mit all seinen Schülern auf diese Weise sprach, dass er sie gern hatte und ihnen Erfolg wünschte.
Verschwinde, du alter Narr! , dachte Eduin zornig. Ich habe genug von deinem Gemecker! Du bist jetzt tot. Du hast keine Macht über mich .
Keine Macht außer der Schlinge in seinem eigenen Kopf.
Aber nicht mehr lange!
Eduin stand endlich auf und wandte dem Geist seines Vaters den Rücken zu. Die Gestalt erschien wieder vor ihm. Er wich hierhin und dahin aus und drehte sich um. Aber ganz gleich, wohin er schaute, das gleiche Gesicht stand vor ihm, der Mund bewegte sich, formte lautlose Sätze, die in den Fluren seiner Erinnerung widerhallten.
Du hast versagt… Du hast geschworen… Rache…
T-t-töte!
Er spürte ein Ziehen in seinem eigenen Mentalkörper. In einem Augenblick des Schreckens schaute er auf seine Hände hinab und erwartete, bleiche Fesseln zu sehen, die ihn an den Geist banden. Es zählte nicht, dass sie unsichtbar waren, selbst in diesem unheimlichen Reich des Geistes.
Ich werde nie von ihm frei sein, und wenn ich sterbe, werde ich die Ewigkeit so verbringen .
»Ich verfluche dich!«, kreischte er. Die Silben hallten von einem Horizont zum anderen. »Ich verfluche dich für das, was du mir angetan hast, zu Zandrus siebter gefrorener Hölle!«
Vielleicht hielt der Mund in seiner gnadenlosen Litanei inne, oder das leidenschaftliche Glitzern der geisterhaften Augen verblasste. Eduin hatte offenbar immer noch einige Macht; wenn schon nicht über den Schatten seines toten Vaters, so doch über sein eigenes Schicksal.
Er würde nicht sterben. Er würde sich weigern, hier und damit für immer an diesen Geist gedankenloser Rache gebunden zu bleiben. Er würde leben und aus diesem Leben seinen eigenen Triumph schaffen.
Als Eduin wieder erwachte, war das Zimmer genau so, wie er es zum letzten Mal gesehen hatte. Er hatte vielleicht einen Tag, eine Stunde oder auch nur einen Herzschlag im Zwielicht der Überwelt verbracht. Sein Magen knurrte. Der Geruch nach frisch gebackenem Brot hing in der Luft. Er folgte ihm und fand ein Tablett mit einem schlichten Frühstück, immer noch warm, das im Wohnzimmer abgestellt worden war. Das Brot war fein und weich; der Käse sahnig, der Jaco angenehm bitter. Eduin aß alles auf und benutzte Brotstücke, um den letzten Rest Käse vom Teller zu wischen. Dann schaute er in die leere Jaco -Kanne und dachte über seinen nächsten Schritt nach.
So lange er auch überlegte, ihm fiel keine Möglichkeit ein, wie er hier in Kirella ohne Saravio weitermachen könnte. Es war ihm nicht gelungen, Varzil am See von Hali zu töten. Diesmal würde er sich nicht auf den Zufall und eine aufgebrachte Menschenmenge verlassen. Er brauchte verlässliche Mittel - ausgebildete Soldaten, Luftwagen, Laran -Waffen. Was Kirella fehlte, würde Valeron, der Hauptsitz des Clans, liefern.
Er brauchte eine Möglichkeit, Lord Brynons Vertrauen zu erwerben. Und dafür wiederum brauchte er Kontrolle über die Erbin Romilla.
Und dafür brauchte er Saravio.
Es ging nicht anders. Er wusste, was er als Nächstes tun musste, und obwohl der Gedanke ihn abstieß, bereitete er sich innerlich vor.
Er musste in Saravios schlafenden Geist eindringen, dort die Herrschaft übernehmen und seinen Freund zurück in die wache Welt zerren.
Eduins erste telepathische Verbindung mit Saravio war unbeabsichtigt gewesen. Er hatte ihn damals nur aus einem Anfall herausholen und nicht in die inneren Tiefen seines Bewusstseins vordringen wollen. Ganz bestimmt hatte er keine Ahnung gehabt vom Ausmaß von Saravios Wahnsinn oder Besessenheit oder was immer es sein mochte. Nun war die Situation anders. Er war nicht länger unwissend. Er wusste, womit er es zu tun hatte.
Er setzte sich neben Saravio aufs Bett und streckte die Hand aus, um die Hand des Schlafenden zu berühren. Körperlicher
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