Darkover 06 - Die Flamme von Hali
Schwarze Eiric sorgte dafür, dass sich jemand um die Tiere kümmerte und den Männern eine Unterkunft zugewiesen wurde.
Dyannis ging hinauf zum Haus. Eine breite Holztreppe führte zu einer ausgedehnten Veranda, auf der sie an den langen Sommerabenden mit Puppen und Spielzeugsoldaten gespielt hatte. Sie blieb eine Weile im Vorraum stehen. Hier wurden Stiefel und Arbeitssachen, durchnässt oder schlammverkrustet, gegen Hauskleidung gewechselt. Darauf hatte ihre Mutter immer bestanden, und Harald hatte die Gewohnheit wohl beibehalten. Dyannis kamen ganz unerwartet die Tränen. Sie konnte sich kaum an ihre Mutter erinnern, weil sie das jüngste Kind gewesen war.
Was würde sie von mir halten, von Varzil, von diesen Zeiten, in denen wir leben?
Dyannis holte tief Luft und stieß die Innentür auf. Haralds Frau Rohanne, jetzt die Herrin von Sweetwater, eilte vorwärts, um sie mit Umarmungen und Küssen zu begrüßen. Dyannis, deren Nerven ohnehin schon bloßlagen, prallte unter der überschwänglichen Zurschaustellung von Zuneigung zurück. Die Jahre, die sie in Hali unter Telepathen verbracht hatte, für die manchmal schon eine flüchtige körperliche Berührung einer Gewalttat gleichkam, hatte ihr wenig Möglichkeiten der Verteidigung gegen solche wohlgemeinten Belästigungen gelassen. Es forderte von ihr einiges an Disziplin, die Frau nicht zurückzustoßen. Dyannis zog es vor, Erschöpfung vorzugaukeln.
»Aber natürlich, meine Liebe, du musst ja vollkommen ausgelaugt sein! So viele Tage nur in Gesellschaft dieser rauen Männer.« Rohanne sagte nichts weiter, obwohl sie so laut dachte, dass Dyannis nicht umhin kam mitzuhören: Dein Haar! Deine Erscheinung! Deine Haltung! Dyannis hatte eine bequeme, weite Jacke getragen und einen Rock mit einem Schlitz, der es ihr ermöglichte, wie ein Mann zu reiten, statt eines Gewandes, wie es einer Dame gebührte.
Endlich konnte Dyannis in ihr altes Zimmer flüchten. Seit ihrer Kindheit schien es geschrumpft zu sein, denn schon wenige Schritte brachten sie von einer Ecke in die andere. Weiß blühender Efeu war rund um die Fenster gewachsen und filterte das Licht. Sie saß auf dem Bett und tätschelte die alte Steppdecke. Die gepolsterten Vierecke waren so zerschlissen, dass sie weich wie Flanell waren.
Einst konnte ich es nicht abwarten, von hier fortzukommen und nach Hali zu gehen, dann konnte ich es nicht abwarten, dort wieder fortzukommen und nach Hause zurückzukehren . Jetzt… jetzt war sie sich nur noch einer Sache sicher: dass sie an keinen der beiden Orte mehr gehörte.
Seufzend rollte sie sich auf der Seite zusammen. Das Bett knarrte leise unter ihrem Gewicht. Jemand hatte ein Duftkissen mit getrockneten Blüten unter das Kopfkissen gelegt. Der Geruch rief Erinnerungen an eine hoch gewachsene Frau mit langen blonden Haaren, starken Armen und weichen Brüsten wach, daran, sanft gewiegt zu werden, an das unkomplizierte Behagen dieses Bettes. Etwas tief in ihr löste sich. Seufzend schloss sie die Augen. Sie wollte sich nur ein bisschen ausruhen…
Dyannis erwachte jäh vom lauten Tumult unten. Durch das efeuverhangene Fenster fiel kaum Licht, und der Windhauch, der durchs Zimmer zog, war kalt geworden. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen.
Ich muss hier vorsichtig sein, sonst verhalte ich mich noch wie das Mädchen, das ich einst war . Bei der geringsten Ermutigung würde Rohanne sie bemuttern wie eine Glucke ihre verstreut umherlaufenden Küken.
Jemand hatte das Zimmer betreten, als sie schlief. Ihr Gepäck war ausgepackt, ihre Gewänder befanden sich gefaltet in der Truhe. Auf dem Tisch lagen fein säuberlich in einer Reihe angeordnet ihre Haarbürsten neben dem kleinen geschnitzten Kästchen, das ihre Haarklammern und ein wenig Schmuck enthielt. Auch eine Schüssel, ein Krug mit Wasser, ein Handtuch und ein kleines Stück Seife waren bereitgelegt worden.
Sie zog ihr zerknittertes Reitkleid glatt, strich sich durchs Haar, betrachtete das Ergebnis in dem kleinen, arg zerschrammten Spiegel auf dem Tisch und ging hinunter.
Harald war schon immer ein sehr lebhafter Mann gewesen, und die Jahre hatten ihn gefestigt. Der goldene Bart war jetzt von silbriger Bronze, die Taille breiter, aber nicht feist, die Gesichtshaut verwittert. Er gab Befehle und stellte Fragen mit einer Stimme, die im offenen Gelände angemessen gewesen wären, aber nicht im Inneren eines Hauses.
Sie waren niemals Spielgefährten gewesen,
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