Darkover 06 - Die Flamme von Hali
denn er war der älteste von fünf Geschwistern und sie die jüngste. Er war schon ein junger Bursche gewesen, als sie geboren wurde, und sie konnte sich an keine Zeit erinnern, als er nicht ihr anmaßender größerer Bruder gewesen war. Es war lange her, seit irgendjemand außer ihrem Bewahrer das Recht gehabt hatte, ihr Befehle zu erteilen.
»Ich heiße dich herzlich zu Hause willkommen, Breda «, sagte er mit aufrichtiger Freude. »Es ist lange her, seit wir dich zuletzt hier gesehen haben.«
»Ich danke dir für deine Gastfreundschaft«, entgegnete sie. »Es tut mir wirklich Leid, dass meine Pflichten einen früheren Besuch verhindert haben.«
»Ja, aber nun sind wir wieder als Familie vereint«, sagte er. »Heute Abend werden wir zu Ehren deiner Rückkehr feiern. Rohanne!«
Die Hausherrin war bereits lautlos an seine Seite geeilt. »Was wünschst du, Gemahl?«
»Hat meine Schwester alles, was sie braucht?«
»Ich bin recht behaglich in meinem alten Zimmer untergebracht«, antwortete Dyannis selbst.
»Das reicht nicht - das Zimmer eines Kindes für eine erwachsene Frau. Wir müssen etwas Passenderes für dich finden. Und was ist… « - Harald fuchtelte herum - »… mit Kleidern und all dem Kram, den eine Frau benötigt?«
Dyannis lachte auf, fing sich aber angesichts Rohannes entsetzter Miene gleich wieder. »Tut mir Leid, wenn meine Reitsachen nicht nach deinem Geschmack sein sollten, Bruder. Im Turm achten wir wenig auf so etwas, wenn wir arbeiten. Was mein Zimmer betrifft, wäre ich zutiefst gekränkt, wenn es nicht meine vertraute alte Unterkunft wäre. Hätte ich eine Suite mit erlesenen Gemächern und Dienern an allen Ecken und Enden gewollt, wäre ich nach Thendara gereist und hätte Carolin besucht!«
Harald schnaubte und meinte, das sei ja alles ganz gut und schön, aber als Comynara und Ridenow habe sie nur das Beste verdient.
Mein armer Bruder, er weiß nicht, was er von mir halten soll!
Dyannis hakte ihre Schwägerin unter. »Dann muss ich heute Abend eben besonders vornehm aussehen, sonst glaubt mein Bruder noch, wir sind in Hali lauter Wilde. Hilfst du mir, für das Abendessen ein Kleid auszuwählen?«
Rohanne blickte sie skeptisch an, ging aber mit. Sie erlangte ihre Fassung erst wieder, als Dyannis das einzige gute Kleid herausholte, das sie dabeihatte und das aus besonders weicher graugrüner Wolle geschneidert war. Der Ausschnitt war hier draußen auf dem Land vielleicht ein wenig zu gewagt; sie hatte das Kleid, mit einem Plaidtuch in den Ridenow-Farben Gold und Grün, zu inoffiziellen Anlässen an Carolins Hof getragen. Rohanne gab ein leises Gurren von sich, als sie die Verarbeitung besah, den feinen Zwirn, die elegante geometrische Stickerei an den Ärmeln, den herrlichen Faltenwurf der Röcke.
»Ich werde meine Zofe rufen lassen, damit sie dir das Haar richtet«, sagte Rohanne zu Dyannis und strich sich eine verirrte Strähne aus der Stirn. »Und erzähl mir nicht, das kannst du auch allein, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass etwas mit diesen Locken fertig wird, nicht einmal Hexenwerk. Du hast schönes Haar, nur wird es nach einer solchen Reise wohl kaum im besten Zustand sein. Bis wir dir eine eigene Zofe besorgt haben, wird sie dir nach Kräften helfen.«
»Ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand bei meiner Kleidung oder meinem Haar hilft.« Dyannis wollte Rohanne nicht beleidigen, gerade jetzt, wo die Spannung zwischen ihnen ein wenig nachzulassen schien. Aber wenn ständig eine Zofe um sie herumlief, würde sie keinen Augenblick mehr Frieden haben.
Rohanne warf ihr einen giftigen Blick zu. »Nun, da du hier bist, musst du auch deinen rechtmäßigen Platz als Comynara der Ridenows einnehmen, wie Harald sagte. Vielleicht wird es nicht einfach für dich sein, dich an die Verantwortung und die Privilegien zu gewöhnen, aber du musst dein Leben im Turm hinter dir lassen.«
»Ich… ich bin mir nicht sicher, ob wir uns richtig verstehen«, sagte Dyannis. Rohanne hatte eine Art sich auszudrücken, die ihr bei aller formellen Höflichkeit anmaßend erschien, beinahe grob. »Du redest, als würde ich für immer hier bleiben.«
Rohanne hob die perfekt gezupften Augenbrauen. »Das zu entscheiden, steht mir nicht zu. Solche Dinge solltest du besser mit Dom Harald klären, denn er ist das Oberhaupt der Familie.«
Dyannis runzelte die Stirn. Wenn sie ihre Absichten selbst nicht kannte, wie sollte sie
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