Darkover 06 - Die Flamme von Hali
Eduin und Saravio konzentrierten sich auf ihr Essen und unterhielten sich nur wenig mit ihren Tischnachbarn.
Diese Situation akzeptierte Eduin klaglos, denn er hatte sein erstes Ziel erreicht. Er war noch nicht weit genug von der Gosse von Thendara entfernt, um eine anständige Mahlzeit zu verachten, aber er verfügte auch über Erinnerungen an ein ganz anderes Leben. Er erinnerte sich daran, in Hali mit Carolin, der damals noch Kronprinz gewesen war, am Tisch von König Felix gespeist zu haben.
Nie zuvor hatte er solche Eleganz wie am Hastur-Hof gesehen. Es war, als wäre er in einen Traum gewandert. In seiner Erinnerung wirkten nun das Kerzenlicht, die Wandbehänge in Edelsteinfarben, das Profil einer Dame, das Strahlen eines Blicks noch köstlicher, noch hinreißender.
Hier, in einer rauchigen, engen Halle, eingezwängt zwischen Männern, die er einmal verachtet hätte, erinnerte sich Eduin, wie weich sich das geliehene Seidenhemd an seiner Haut angefühlt hatte, roch wieder die grünen Zweige und das Gewürzbrot, hörte die Stimme eines hervorragenden Sängers, umfing den biegsamen Körper seiner Tanzpartnerin.
Dyannis .
Er wusste, er sollte sie nicht so idealisieren. Sie war ein Mensch und ebenso imstande, etwas Dummes zu tun, wie jeder andere; und schlimmer, sie war die Schwester des Mannes, den er vernichten musste. Aber so sehr er es sich auch wünschte, Eduin konnte diesen Schimmer nicht von ihrem Bild entfernen. Sie war ein hinreißendes junges Mädchen gewesen, glühend vor Lebendigkeit und Freude, und hatte beides großzügig an alle weitergegeben, die sie berührte, zu einem Zeitpunkt, als sein eigenes Herz gehungert hatte.
Dieses strahlende Mädchen existierte nur in der Vergangenheit. Der junge Mann, der er gewesen war, existierte überhaupt nicht mehr, es sei denn als nostalgische Erinnerung, und das Gleiche traf auch auf Dyannis zu. Er konnte sich solche Sentimentalitäten nicht leisten, vor allem nicht hier, am Hof unsicherer Verbündeter.
Im nächsten Augenblick wurde er aus seinen Erinnerungen gerissen. Zwei der Hunde des Lords, riesige, zottige Jagdhunde, hatten sich gleichzeitig auf einen Knochen gestürzt, den jemand hinter sich geworfen hatte. Der Größere, ein junger Rüde, packte das Ende des Knochens mit den Zähnen. Der andere Hund war älter und nicht an solche Herausforderungen gewöhnt. Mit gesträubtem Haar und gefletschten gelben Zähnen stürzte er sich knurrend auf den Rivalen. All das konnte Eduin von seinem Platz aus gut sehen.
Im nächsten Augenblick waren die beiden Hunde eine knurrende, sich überschlagende Masse. Ein Mann rief anderen zu zurückzubleiben, ein anderer schrie nach einem Eimer Wasser, um es über die Tiere zu gießen. Mehrere Gäste sprangen auf, um die Tiere voneinander wegzuziehen. Eine Frau kreischte. Einer der Pagen, ein Junge von sechs oder sieben, stand reglos da, mit starrem Blick und weit aufgerissenem Mund, als einer der Hunde den anderen bellend auf ihn zutrieb. Bevor noch jemand reagieren konnte, hatten die Tiere den Jungen umgerissen. Der Schrei des Kindes gellte durch die Halle.
Lord Brynon eilte auf den Jungen zu und stieß einen Tisch, der im Weg war, mit einer einzigen Bewegung beiseite. Er packte den Hund, der näher an ihm war, im Genick und warf ihn gegen den nächsten Tisch. Der andere Hund wich entsetzt wimmernd zurück.
Eduin drängte sich durch die Menge. Lord Brynon kniete nieder; sein breiter Rücken versperrte die Sicht auf den am Boden liegenden Pagen. Blut durchtränkte die Binsen auf dem Boden. Eduin konnte es riechen. Adrenalin und Schock erhoben sich wie Rauch von einem Steppenbrand. Rings um ihn her wichen Männer entsetzt zurück. Eine der Frauen begann zu schluchzen, und jemand zischte ihr zu, leise zu sein.
Noch lebte der Junge. Unter all den wirbelnden Energien, die Eduin spürte, war nichts, was darauf schließen ließ, dass er tot war. Noch nicht. Blut floss aus einer tiefen Bisswunde an der Seite seines Halses und verfärbte sein Hemd.
Eduin wusste, dass er ein schreckliches Risiko einging, indem er seine Kraft in der Gegenwart einer Leronis einsetzte, die, so gering ihr eigenes Talent auch sein mochte, durchaus imstande sein konnte, ihn zu erkennen. Sie würde fragen, wieso ein im Turm ausgebildeter Laranzu sich als Diener eines umherziehenden Heilers ausgab. Aber er würde vielleicht auch nie eine bessere Gelegenheit erhalten, sich Lord Brynons Vertrauen zu
Weitere Kostenlose Bücher